Probierfreudigkeit, Innovationskultur, offene Kommunikation und Veränderungsbereitschaft auf der Führungsebene – diese Faktoren sind entscheidende Voraussetzungen für die erfolgreiche digitale Transformation eines Unternehmens. Das gilt unabhängig von dessen Größe, Branchenzugehörigkeit und Geschäftsfeldern. Diese Erkenntnis ergibt sich aus den Erfahrungsberichten von Führungskräften deutscher Firmen, die im Rahmen einer Fallstudie von der Bertelsmann Stiftung gemeinsam mit dem Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO zusammengetragen und ausgewertet worden sind. An der Untersuchung beteiligten sich männliche und weibliche Führungskräfte von 15 Unternehmen unterschiedlicher Größe aus verschiedenen Branchen, von IT- und Softwareunternehmen über Banken und Versicherungen bis hin zu Baufirmen und Druckfarbenproduzenten. In ausführlichen Leitfaden-Interviews sowie einem Online-Fragebogen gaben sie Auskunft darüber, wie die Digitalisierung in ihren Betrieben voranschreitet und welche Voraussetzungen dabei hilfreich sind.
Die Frage, wie die betriebliche Digitalisierung gelingen kann, treibt die Unternehmen nicht erst seit Ausbruch der Corona-Krise um. Doch die Pandemie hat den Nachholbedarf kleiner und mittlerer Unternehmen in Deutschland in der Umstellung auf digitale Prozesse, Arbeitsmittel und Kommunikationsformen schonungslos offengelegt. Die Bereitschaft zur Veränderung entscheidet über die Zukunftsfähigkeit vieler Betriebe. »Wer die Chancen des digitalen Arbeitens mutig und gezielt nutzt, verschafft sich einen klaren Wettbewerbsvorteil. Dies gilt erst recht in der Corona-Krise«, erklärt Ole Wintermann, Arbeitsexperte bei der Bertelsmann Stiftung.
Führungskräfte müssen die Veränderungsbereitschaft vorleben
Große Einigkeit unter den Studienteilnehmer*innen herrscht insbesondere dahingehend, dass die technische Umstellung auf digitale Anwendungen und Arbeitsmittel nur den Anfang der Veränderung markiert. Dabei spielt es keine Rolle, ob der digitale Wandel eines Betriebes schon länger geplant war, etwa um neue Geschäftsmodelle aufzubauen, oder aufgrund äußeren Drucks kurzfristig eingeleitet wurde, beispielsweise im Zuge der Corona-Krise. Eine konsequente und langfristig ausgerichtete digitale Transformation umfasst vielmehr das Unternehmen als Ganzes, inklusive seiner Strategie, Organisation, Kultur, Kommunikation sowie der Fähigkeiten seines Personals. Um diese komplexe Aufgabe zu bewältigen, ist es laut Auffassung der Befragten entscheidend, dass die Mitglieder des Top-Managements die Veränderungen annehmen, vorleben und gegenüber der Belegschaft transparent kommunizieren.
Neben der Vorbildfunktion der Geschäftsführung fällt insbesondere dem mittleren Management die wichtige Aufgabe zu, ihre Mitarbeitenden in die Veränderungsprozesse einzubinden. »Führungskräfte auf der mittleren Ebene werden bei der Umsetzung und der gezielten Unterstützung in der Transformation auch gerne mal vergessen,« unterstreicht Josephine Hofmann, Studienautorin und Leiterin des Bereichs Zusammenarbeit und Führung am Fraunhofer IAO, deren Bedeutung.
Know-how der Mitarbeiter*innen für den Wandel nutzen
Die Einbindung möglichst aller Mitarbeiter*innen ist nicht nur deshalb von entscheidender Bedeutung, um eine unternehmensweite Akzeptanz für den Wandel zu schaffen. Deren Know-how und Flexibilität seien unverzichtbar, um gemeinsam innovative Lösungen hervorzubringen, so die Überzeugung der Befragten. Ideenwettbewerbe und Innovationsforen, wie sie in immer mehr Betrieben anzutreffen sind, bestätigen diesen Trend. Kooperationen mit Start-ups oder wissenschaftlichen Einrichtungen wiederum können wertvolle Impulse von außen liefern. »Bei der digitalen Transformation führen viele Wege ans Ziel. Wie die Erfahrungen unserer Studienteilnehmer zeigen, ist Ausprobieren deshalb die beste Methode für den Erfolg. Doch dafür braucht es den nötigen Freiraum und Vertrauensvorschuss, denn Rückschläge gehören zu diesem Prozess unvermeidlich dazu«, sagt Josephine Hofmann.
»Für die Otto Group ist der Kulturwandel eine der zentralen strategischen Initiativen, um in einem sich immer schneller verändernden Wettbewerbsumfeld erfolgreich zu bleiben. Durch die Stärkung der Selbstverantwortung der Mitarbeitenden und eine engere Zusammenarbeit über Hierarchie- und Bereichsgrenzen hinweg, können wir schneller auf die Bedürfnisse der Kundinnen und Kunden reagieren und unsere Geschäftsmodelle agil weiterentwickeln«, berichtet Alexander Birken, Vorstandsvorsitzender der Otto Group, über seine Erfahrungen bei der Gestaltung der digitalen Transformation.
Bereitschaft zur Weiterbildung als Schlüssel für den Erfolg
Eine größere Eigenverantwortung für die Mitarbeiter*innen, darüber sind sich die Befragten im Klaren, geht mit einem neuen Führungsverständnis sowie einer ausgeprägten Fehlerkultur einher. Inmitten flexibler Organisationsformen, die zur Auflösung klassischer Hierarchien beitragen, kommt einer Führungskraft viel stärker die Rolle eines Moderators oder Förderers zu. »Damit sowohl Führungskräfte als auch Mitarbeiter*innen mit den dynamischen Veränderungen digitaler Arbeitsformen Schritt halten können, bedarf es interner wie externer Angebote zur kontinuierlichen Weiterbildung. »Einer der Schlüssel für den Erfolg der digitalen Transformation ist die Bereitschaft zum lebenslangen Lernen auf allen Ebenen. Denn sie ermöglicht es, die gesamte Organisation offen und innovativ zu halten«, betont Ole Wintermann.
Neues Tool »Digital Pathguide« gibt Betrieben Hilfestellung
Gemeinsam mit der Studie hat das Team der Bertelsmann Stiftung und des Fraunhofer IAO den »Digital Pathguide« angekündigt. Das neue Online-Tool der Bertelsmann Stiftung bietet Unternehmen die Möglichkeit, anhand einer Befragung sowohl des Arbeitgebers als auch der Mitarbeiter*innen den eigenen Status quo hinsichtlich der Digitalisierung zu ermitteln. Nach einer Einstufung auf Basis der eigenen Angaben zeigt der »Digitale Pfadfinder« Handlungsempfehlungen und mögliche nächste Schritte auf. Das Tool steht ab Ende September unter der Adresse www.digitalpathguide.de zur Verfügung.
Zusatzinformationen
Für die Datenerhebung wurde ein Methodenmix aus qualitativen Face-to-Face-Interviews und dem quantitativen, online-basierten Assessment Center des Digital Pathguide verwendet. 14 Männer und sechs Frauen aus der Führungsebene 15 verschiedener Unternehmen wurden jeweils anhand beider Methoden befragt. Die Befragten sind zwischen 30 und 60 Jahre alt. Die dazugehörigen Betriebe sind privatwirtschaftliche Unternehmen und decken eine möglichst große Bandbreite an unterschiedlichen Branchen ab. Sie beschäftigen zwischen 18 und 16 500 Mitarbeitenden. Zudem existieren die Betriebe seit mindestens zehn Jahren und weisen daher gewachsene Strukturen auf, die es zu verändern gilt.