Wie können Fabriken oder produzierende Unternehmen im städtischen Umfeld so integriert werden, dass sie nachhaltig und wirtschaftlich arbeiten und gleichzeitig so sauber und leise, sodass sie nicht als störend empfunden werden? Diesen und ähnlichen Fragen ist das Fraunhofer IAO in seinen Forschungen rund um die »Ultraeffizienzfabrik« nachgegangen. »Ultraeffizienz« steht in diesem Kontext für effizientes und effektives Produzieren unter Berücksichtigung »harter« Faktoren wie Material, Energie, Emissionen sowie »weicher« Faktoren wie Personal, Prozesse und Organisation. Nun soll dieses Konzept auf Industriegebiete übertragen werden. Als Anwendungspartner konnte das Forschungsteam die baden-württembergische Stadt Rheinfelden gewinnen, die mit einem stadtnahen Industrie- und Gewerbegebiet optimale Untersuchungsbedingungen bot. Die Analyse der Ergebnisse wurde in einer Kurzstudie zusammengefasst und Anfang Februar 2020 an die Stadt Rheinfelden sowie an das Ministerium für Umwelt, Klima und Energiewirtschaft Baden-Württemberg übergeben. Damit startete gleichzeitig das Projekt »Ultraeffizienz4Industriegebiete«, um die Analysen in die Umsetzung zu bringen und Kommunen sowie Städte zu befähigen, ihre Industrie- und Gewerbegebiete weiterzuentwickeln. In Zusammenarbeit mit dem Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement IAT der Universität Stuttgart, dem Fraunhofer-Institut für Produktionstechnik und Automatisierung IPA sowie der Wirtschaftsförderung und der Stadtmarketing Rheinfelden (Baden) GmbH will das Forschungsteam des Fraunhofer IAO nun durch den Aufbau geeigneter Demonstratoren mit anschaulicher Visualisierung einen leichtverständlichen Zugang zum ganzheitlichen Ansatz und zur Realisierung von ultraeffizienten Fabriken schaffen.
Von ganzheitlicher Betrachtung können Stadt und Unternehmen profitieren
Michael Hertwig, Forscher am Fraunhofer IAO, erklärt die Ausgangssituation für das Projekt: »Industrieunternehmen betrachten beim Thema Ultraeffizienz solche Aspekte, die das eigene Unternehmen betreffen und tun sich schwer, über ihre eigenen Grenzen hinweg ganzheitlich zu optimieren. Die Städte wiederum betrachten zwar ein Industriegebiet im Ganzen, tun sich aber schwer, dabei die unternehmerische Perspektive einzunehmen und die Mehrwerte für Unternehmen zu betrachten. Mit diesem Projekt wollen wir die Maßnahmen für Ultraeffizienz für beide Seiten verständlich darstellen, um einen Konsens für die langfristige Weiterentwicklung zu schaffen. Davon sollen beide Seiten profitieren.« So zählen beispielsweise das Anschaffen von Photovoltaikanlagen, die Bereitstellung von Kurzzeitwohnungen oder Shuttle-Services für neue Mitarbeitende zu Maßnahmen, die sowohl Stadt als auch Unternehmen betreffen und Wechselwirkungen oder auch Symbiose-Effekte aufweisen, die im Vorfeld häufig nicht bedacht wurden. Mit der ganzheitlichen Betrachtung können Unternehmen prüfen, von welchen Maßnahmen auch die Stadt profitieren kann und auch anders herum.
Auswirkungen und Zusammenhänge von Maßnahmen sichtbar machen
Vor diesem Hintergrund plant das Forschungsteam die Entwicklung eines softwarebasierten Tools, welches die Auswirkungen der verschiedenen möglichen Maßnahmen visuell aufzeigt und damit für alle Stakeholder bewertbar macht. Dafür wird ein ausgewähltes Gebiet zunächst modelliert. Mithilfe des Tools werden dann jegliche Auswirkungen, also auch Wechselwirkungen oder Symbiosen, dargestellt und Interaktionsmöglichkeiten zwischen den einzelnen Maßnahmen deutlich. Für die Entwicklung dieser Software haben die Forschenden um Michael Hertwig zuvor Workshops mit den verschiedenen Interessensgruppen für ein ultraeffizientes Industriegebiet durchgeführt, um herauszufinden, ob und inwiefern diese bereits zusammenarbeiten. Daraus identifizierte das Forschungsteam Maßnahmen für Ultraeffizienz, die in Bezug auf die fünf Handlungsfelder Energie, Material, Emissionen, Mensch und Organisation in Frage kommen. »Das neue Tool soll aufzeigen, was passiert, wenn man eine Maßnahme umsetzt und eine andere nicht. Damit wird der Planungsprozess für alle Stakeholder aus Stadtverwaltung, Unternehmen und Verbänden transparenter«, ergänzt Hertwig.
Sicherstellung von Übertragbarkeit
Um sicherzustellen, dass die Analyseergebnisse auf verschiedenste Industriegebiete mit unterschiedlichen Anforderungen übertragen werden können, soll ein Projektbeirat mit Vertreterinnen und Vertretern aus Industrie, Verbänden und Städten ins Leben gerufen werden. »Aktuell suchen wir noch nach weiteren Projektpartnern wie Kommunen, Industrieunternehmen und Standortverantwortlichen, um verschiedene Perspektiven einzuholen. Außerdem gehen wir auf Kommunen und Experten zu, um schnell Diskussionen mit unterschiedlichen Vertretern zu starten«, beschreibt Joachim Lentes vom Fraunhofer IAO die weiteren Schritte.