Der Weg zur klimaneutralen Arbeitswelt stellt die Gesellschaft vor gigantische Herausforderungen. Neben dem, was jede*r Einzelne leisten kann, liegt die Verantwortung bei Unternehmen. Wer sich schon jetzt verändert, hat einen Vorteil.
Eigentlich ist das Lama in Südamerika zu Hause, doch neuerdings begegnet man ihm auch in deutschen Städten: Auf Parkplätzen in Hamburg, Hannover, Stuttgart, München, Leipzig und Dresden reckt es – als türkises Piktogramm auf anthrazitfarbenem Grund – den Kopf in die Höhe. »Laden am Arbeitsplatz«, kurz: LamA®, lautet der Name eines Gemeinschaftsprojekts von über 40 Fraunhofer-Instituten, für die der Paarhufer aus den Anden Pate steht. Gemeinsames Ziel ist der Aufbau einer zusammenhängenden Forschungsinfrastruktur für Elektrofahrzeuge.
»Wir wollen herausfinden, ob die Akzeptanz für Elektromobilität wächst, wenn Menschen ihre E-Autos während der Arbeitszeit aufladen können«, sagt Dr. Daniel Stetter, Leiter des Forschungsbereichs »Smart Energy and Mobility Solutions« beim Fraunhofer IAO. Zugleich sei das Projekt aber auch ein Beitrag zum Ausbau der Elektromobilität in Deutschland. Denn: Die elftgrößte Ladeinfrastruktur Deutschlands kann nicht nur von der Fraunhofer-Belegschaft genutzt werden. Willkommen sind alle, die ihr E-Auto aufladen wollen.
Rund 517 000 reine Elektroautos waren zum Ende des dritten Quartals 2021 auf deutschen Straßen unterwegs. Damit die Mobilitätswende gelingt, müssten es deutlich mehr sein. Doch die Vorstellung, eines Tages mit leerem Akku im Niemandsland zu stranden, hemmt viele, aufs E-Auto umzusteigen. Eine Sorge, die nicht ganz unberechtigt ist: Gerade mal 25 800 Ladesäulen gab es im dritten Quartal 2021 in Deutschland. Ein Grund mehr, warum das Fraunhofer IAO gemeinsam mit Partnern nach Lösungen sucht.
So hat das Institut im Auftrag des Airport München eine Studie erarbeitet, die als Basis für eine E-Mobilitätsstrategie des Flughafens dienen soll. Das Projekt LamA® wiederum kann als Pilot einer breit angelegten Ladeinfrastruktur einer großen Organisation mit vielen Standorten angesehen werden. Noch weiter greift die Idee des Projekts BANULA, bei dem es um die Frage geht, wie jede*r Nutzende an jeder E-Ladesäule im Land tanken kann. Darüber hinaus werden entscheidende Fragen im Hinblick auf die energiewirtschaftliche Bilanzierung von Ladevorgängen bzw. der künftigen Netzführung untersucht. »Um die Energie- und Mobilitätswende ganzheitlich und integriert zu realisieren, braucht es Schnittstellenkompetenz, genau hier sind wir mit dem Fraunhofer IAO stark platziert«, sagt Stetter.
Es ist ein ehrgeiziges Ziel, das Deutschland sich in Sachen Klimaschutz gesetzt hat: Bis 2045, darauf hatte sich bereits die vorherige Regierung festgelegt – und die neue ist ihr in diesem Punkt gefolgt, soll Deutschland klimaneutral werden. Nicht ganz so eindeutig fällt die Antwort auf die Frage aus, wie das gelingen soll. Sicher aber ist: Das Ziel kann nur erreicht werden, wenn alle mit anpacken: die Politik, die Gesellschaft – und natürlich die Wirtschaft.
»Gerade bei Unternehmen spüren wir ein deutlich wachsendes Interesse am Thema Klimaneutralität«, sagt Stetter. Ein Grund dafür könnte eine steigende Sensibilität für Klimafragen in der Gesellschaft sein. Mindestens ebenso entscheidend seien politische Rahmenbedingungen wie der CO2-Preis, der schon heute Auswirkungen auf die Kostenseite habe. Laut einer Studie des Verbundforschungsprojekts Office 21®, welches das Fraunhofer IAO in Stuttgart zusammen mit Partnern aus der Industrie seit Jahrzehnten erfolgreich betreibt, planen bereits mehr als die Hälfte der deutschen Unternehmen Schritte in Richtung Klimaneutralität.
Denkbar ist hier eine ganze Palette von Maßnahmen – von der Umstellung auf nachhaltige Energie und Elektroautos, über den Einsatz energiesparender Materialien, den Aufbau einer klimaneutralen Produktion sowie klimaneutraler Services und Dienstleistungen bis hin zum modernen, mitdenkenden Büro. Stetter zufolge helfe eine konsequente Klimastrategie Unternehmen dabei, Energie und Ressourcen zu sparen, Emissionen, die Abhängigkeit vom Energiemarkt und somit auch Kosten zu verringern sowie die Attraktivität für junge Fachkräfte zu erhöhen. »Wer sich jetzt optimal aufstellt, ist im Vorteil«, so Stetter.
Doch wo soll man anfangen? Diese Frage hört Dr. Anna-Lena Klingler regelmäßig. Sie ist Leiterin des Teams »Energy Innovation« beim Fraunhofer IAO und kümmert sich um Konzepte rund um das Thema Energie. Dazu gehört auch das Projekt LamA®, das als wirtschaftsnahes Forschungsprojekt angelegt ist, um zu zeigen, wie einer von vielen Schritten in Richtung Klimaneutralität aussehen kann. Gerade weil das Thema so komplex ist, hat das Fraunhofer IAO das Innovationsnetzwerk »Klimaneutrale Unternehmen« gegründet, in dem sich die Mitglieder über Hürden, Herausforderungen und Lösungen austauschen können und Impulse erhalten, wie die Transformation im eigenen Unternehmen gelingen kann.
Neben einem solchen Austausch empfiehlt Anna-Lena Klinger den meisten Unternehmern ein Vorgehen in vier Schritten. Am Anfang stehe ein Quick-Check, der helfe, sich einen Überblick über den aktuellen Ist-Zustand zu verschaffen. Im nächsten Schritt gehe es darum, eine Roadmap zu entwickeln. »Das soll Fragen beantworten wie: Wo wollen wir hin? Was ist uns wichtig? Und in welchem Zeitrahmen wollen wir das schaffen?«, so Klingler.
Aus der Roadmap folge der dritte Schritt: eine Priorisierung und Umsetzung von Maßnahmen, denn »alles auf einmal geht nicht«, sagt Klingler. Unternehmen sollten deshalb überlegen, was sich aktuell anbiete. Stehen vielleicht technische Modernisierungen an, in deren Rahmen sich hohe Ansprüche an Klimaschutz umsetzen lassen? Im Gegenzug ließe sich die Umstellung der Fahrzeugflotte vielleicht erstmal vertagen.
In einem vierten Schritt gehe es um die Frage, ob die technischen Neuerungen auch eine Grundlage für neue Geschäftsmodelle eines Unternehmens sein können. Eine E-Ladesäule auf dem Firmenparkplatz allein markiere noch nicht den Schritt eines Unternehmens hin zum Betreiber von E-Tankstellen, aber »hier sind viele individuelle und überraschende Lösungen denkbar«, so Klingler.
Grundsätzlich sei Klimaschutz im Unternehmen auf drei Ebenen möglich: Emissionen reduzieren, eingesetzte Brenn- oder Rohstoffe substituieren oder Emissionen kompensieren. Optimal, so sagt Klingler, sei es natürlich, Produkte komplett klimaneutral zu gestalten, doch gehe das gerade in der Anfangsphase häufig nicht. Deshalb sei es, auch der Priorisierung wegen, ein wichtiger Schritt, die Emissionen erst einmal zu reduzieren. Findet sich auch dafür kein Weg, bleibt immer noch die finanzielle Kompensation durch Sponsoring von Klimaschutzprojekten.
Klimaneutralität im Unternehmen ist jedoch nicht nur eine Frage von Technologie. Auch der tägliche Umgang des Menschen mit eben jener spielt eine gewichtige Rolle. Ein Beispiel, an dem sich dieser Effekt gut veranschaulichen lässt, ist das »Bloomberg London«. Der europäische Sitz des US-Medienunternehmens Bloomberg gilt als eines der nachhaltigsten Bürogebäude der Welt. Rund 100 000 Quadratmeter Fläche wurden nach innovativen Nachhaltigkeitskonzepten gestaltet, das Beleuchtungssystem etwa benötigt nur 40 Prozent der Energie gewöhnlicher Hochhäuser. Regenwasser, Abschlämmwasser des Kühlturms und Abwasser werden aufbereitet und wiederverwendet. Abfall wird recycelt, kompostiert oder in Energie transformiert. Klimaschutz-Technologie at its best.
Sein volles Klimaschutzpotenzial schöpft das Gebäude aber nur aus, wenn die rund 4000 Menschen, die hier arbeiten, im Alltag Ressourcen schonen. Wenn sie etwa darauf verzichten, unnötige Druckvorgänge zu starten. Oder mal Treppen steigen, statt den Fahrstuhl zu nehmen, um nur zwei Beispiele zu nennen. Hier kommen kleine »Anstupser«, sogenannte Nudges ins Spiel. Das kann ein trauriger Smiley auf dem Druckerdisplay sein, der zu viele gedruckte Seiten beklagt. Oder ein Display am Aufzug, das einen Hinweis gibt, wenn die Treppen einen schlichtweg schneller in die Mittagspause bringen als der nächste Fahrstuhl. Dezente Hinweise im Alltag, die sich in der Summe positiv auf die Klimabilanz auswirken.
Das idealtypische »Green Office« entsteht im Zusammenspiel aus »Green Building«, »Green IT« und »Green Behaviour«: So lautet eines der Ergebnisse der »Klimaschutz-Befragung«, die im Rahmen des Verbundforschungsprojekts Office 21® entstanden ist. Die Studie haben Milena Bockstahler, Dennis Stolze und Klaus-Peter Stiefel mit dem Ziel durchgeführt, die unternehmerische wie auch individuelle Handlungsbereitschaft zum Thema Umwelt- und Klimaschutz zu ergründen. »Wir beobachten, dass das Thema Klimaschutz für Firmen immer relevanter wird und sehen viel Potenzial darin, durch kleine Anpassungen große Veränderungen anzustoßen«, sagt Milena Bockstahler vom Forschungsbereich »Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung«.
Ein weiteres Beispiel für ein solches zukunftsweisendes »Green Building« steht übrigens in Stuttgart. Sein Energiekonzept basiert auf einer Geothermieanlage, eine innovative Gebäudeautomatisierung regelt Wärme, Kälte, Lüftung und Licht. Der Tank der Sprinkleranlage wird als Energiespeicher für Abwärme aus dem Gebäude genutzt, etwa von den Rechnerräumen oder den Hochleistungsprojektoren der Virtual-Reality-Labore. Ein Energiemess- und -monitoringsystem analysiert die Wirkung der verschiedenen Maßnahmen. Bei diesem Bürohaus der Zukunft handelt es sich um das Zentrum für Virtuelles Engineering ZVE des Fraunhofer IAO.