Algorithmen für alle
Expert*innen sind sich einig: Quantencomputing wird die Datenverarbeitung revolutionieren. Doch noch ist die Technologie für viele nur schwer zugänglich. Dr. Christian Tutschku will das ändern.
Dass Dr. Christian Tutschku einmal Quantum-Software-Engineer werden würde, war vor zehn Jahren nicht abzusehen. Damals war er auf bestem Wege, Gymnasiallehrer zu werden, und würde heute vielleicht tatsächlich eine Klasse unterrichten, wenn ein Zwischenfall nicht eine leichte, aber entscheidende Kursänderung eingeläutet hätte.
Er hatte sich für eine Lehrerlaufbahn entschieden, weil er etwas mit Sport machen wollte und ihm die Lehre am Herzen lag. Das begeisterte ihn neben Musik am meisten, und für einen kommunikativen jungen Mann, der auch Spaß daran hatte, anderen etwas zu vermitteln, fühlte sich das passend an. Doch ausgerechnet die Sporteignungsprüfung machte ihm einen Strich durch die Rechnung. Aus gesundheitlichen Gründen musste er sie kurz vor Ende abbrechen und konnte sie erst im Folgesemester nachholen. Da er in der Zwischenzeit nicht untätig sein wollte, schrieb er sich an der Universität Würzburg schon mal für sein Erstfach Mathematik ein und nahm als Zweitfach Physik hinzu, mit dem Hintergedanken, Letzteres bald wieder abzulegen. Es kam anders: Physik, vor allem die quantenmechanischen Prinzipien, fesselten ihn so sehr, dass er nach zweieinhalb Jahren das Lehramtsstudium aufgab und sich nur noch auf Physik konzentrierte. Verloren hatte er dadurch nichts, im Gegenteil. Die Pädagogik-Kenntnisse sowie die Erfahrungen im Unterrichten sind heute wertvolle Zusatzqualifikationen. »Kommunikation wird im gesamten naturwissenschaftlichen Studium nicht abgedeckt, daher bin ich dankbar, das mitgenommen zu haben«, sagt der heute 30-Jährige.
Tutschku fand Gefallen am Forschen, schrieb seine Bachelorarbeit mit Anfang 20 in Teilchenphysik, wechselte für seinen Master aber von diesem sehr abstrakten Fachgebiet zur Festkörperphysik, weil er anwendungsnäher arbeiten wollte. Schon damals spezialisierte er sich auf das Zukunftsthema Quantencomputing und promovierte anschließend ebenfalls in diesem Themengebiet. Direkt darauf stieg er am 1. Januar 2021 beim Fraunhofer IAO ein, wo er heute das Team Quantencomputing leitet.
Dazu gehört aktuell auch das Projekt SEQUOIA, an dem mehr als 20 Unternehmen beteiligt sind. SEQUOIA steht für Software- Engineering industrieller, hybrider Quantenanwendungen und -algorithmen. Was so kompliziert klingt, bedeutet im Grunde, dass er gemeinsam mit seinem Team neue Methoden und Werkzeuge für das Quantencomputing erforscht, entwickelt und testet, um diese neue Technologie für Unternehmen nutzbar zu machen. »Einfach gesagt, versuchen wir, mit den Prinzipien der Quantenmechanik Fragen der Industrie zu lösen, das heißt, wir verbessern ihre Algorithmen und Softwarelösungen dahingehend, dass ihre Prozesse schneller und besser ablaufen.« Das kann ein Logistik-Unternehmen sein, das seine Lkw-Routen optimieren möchte, oder ein Produzent, der wissen möchte, wie er ein großes Stück Blech zurechtschneiden muss, um möglichst wenig Verschnitt zu haben. Letztlich geht es darum, über Simulationen verschiedene Varianten eines möglichen Ablaufs, etwa die Lkw-Routen, miteinander zu vergleichen, um die beste Lösung zu finden. Der Vorteil beim Quantencomputing: Während ein klassischer Rechner diese Varianten nur nacheinander prüfen kann, ist es für den Quantencomputer grob gesagt nur ein einziger Durchlauf, weil alle Alternativen parallel durchlaufen werden können. Das beschleunigt den Prozess ungemein.
Noch ist diese neue Technologie nur in geringem Umfang nutzbar, aber sie birgt enormes Potenzial. Das fasziniert Christian Tutschku an seiner Arbeit: Er ist bei der Entwicklung von etwas Neuem vorne mit dabei und kann dazu beitragen, die Welt ein Stück weit zu verbessern. »Wenn es etwa gelingt, mit besseren Lkw-Routen Leerfahrten zu reduzieren und damit den Dieselverbrauch, ist das viel nachhaltiger und schützt die Umwelt«, sagt er.
Da der erste Quantencomputer Europas im baden-württembergischen Ehningen steht und die Fraunhofer-Gesellschaft exklusiven Zugriff darauf hat, kommt auf Christian Tutschku nun die Aufgabe zu, sein Wissen weiterzugeben. Seit dem 27. Januar 2022 bieten die Fraunhofer-Institute IAO in Stuttgart und IAF in Freiburg eine Schulungsreihe an, um interessierten Unternehmen die Funktionsweise und Einsatzmöglichkeiten von Quantencomputern zu vermitteln. Damit wird er dann doch noch zu einer Art Lehrer, wenn auch anders als zunächst gedacht.