Grüne Energie als Geschäftsmodell
Dr. Anna-Lena Klingler glaubte schon an Solarstrom als die Energiewende noch in weiter Ferne lag. Heute tüftelt die Umweltwissenschaftlerin am Ausbau der Erneuerbaren in Deutschland.
Dr. Anna-Lena Klingler war noch an der Schule, da trieb sie eine Idee um: Gemeinsam mit einem Schulkameraden wollte sie eine flüssige Solarzelle erfinden, die sich wie Lack auf Ziegel sprühen lassen sollte. Wenn der Lack trockne, würden sich die Nanoteilchen, die sich in ihm befänden, verbinden – und Strom könnte fließen. Jede Hauswand, jede Mauer würde so potenziell zum Minikraftwerk. »Die Idee war technisch nicht ganz ausgereift«, sagt Klingler heute schmunzelnd. Doch davon ließ sie sich nicht entmutigen. Ihr Entschluss, ein Studium im Bereich der erneuerbaren Energien zu wählen, stand fest.
Die Forscherin ist auf dem Land aufgewachsen, ihre Familie hatte einen großen Garten mit Obstbäumen und Gemüsebeeten, und als die ersten Photovoltaikanlagen auf den Markt kamen, stand bald schon eine auf dem Dach ihres Elternhauses. »Nachhaltigkeit war ein Thema bei uns – und wurde so auch für mich früh zum Thema«, sagt Klingler. Nach der Schule studierte sie Umweltwissenschaften mit dem Schwerpunkt Energietechnik an der Universität Bayreuth und an der Universidade Federal de Santa Catarina in Florianópolis in Brasilien. 2018 promovierte sie an der Technischen Universität München zum Thema »Dezentrale Energieversorgung von Haushalten«. Dabei untersuchte sie den Nutzen von Photovoltaikanlagen und von Batteriespeichern und fand in Simulationen heraus, dass die weit verbreiteten Batteriespeicher sich zum damaligen Zeitpunkt wirtschaftlich nicht wirklich lohnten.
Sollten die Erneuerbaren also nur etwas für Idealisten sein? Für Klingler war klar, dass es weitere Forschung brauchte, um die Technologie marktfähig zu machen. Knapp sechs Jahre arbeitete sie am Fraunhofer-Institut für System- und Innovationsforschung ISI zu Energietechnologien und -systemen. Vor drei Jahren wechselte sie ans Fraunhofer IAO, wo sie nun im Forschungsbereich »Smart Energy and Mobility Solutions« das Team »Energy Innovation« leitet. Ziel ihres Teams ist es, Geschäftsmodelle in den Bereichen Elektromobilität, Ladeinfrastrukturen und Energiesysteme zu entwickeln und Unternehmen sowie kommunale Akteure zu unterstützen, die diese Modelle umsetzen wollen.
Wer sich mit erneuerbaren Energien beschäftigt, muss das große Ganze stets mitdenken, weil alles miteinander zusammenhängt. Und Anna-Lena Klingler ist jemand, der viele Bälle gleichzeitig in der Luft halten kann. Im Innovationsnetzwerk »Klimaneutrale Unternehmen« etwa bringt sie Forschende mit Unternehmen zusammen, die gemeinsam an konkreten Energielösungen der Zukunft arbeiten. Im Rahmen eines anderen Projekts untersucht sie gemeinsam mit Kolleg*innen, was es braucht, um den Lkw-Fernverkehr zu elektrifizieren: Wie viele Hochleistungsladepunkte braucht es an welchen Standorten? Wie viele Lkw können gleichzeitig an einem Ladepunkt laden? Wo kommt die Energie her? Werden sich E-Lkw durchsetzen oder gehört die Zukunft anderen Treibstoffen?
Ein Element, das viele Antworten bereithält für eine nachhaltige Zukunft, trägt das Kürzel »H2« – Wasserstoff. Er entsteht, wenn Wasser in Wasserstoff und Sauerstoff aufgespalten wird. Erfolgt dies mithilfe von Strom aus erneuerbaren Energiequellen, dann spricht man von »Grünem Wasserstoff«. Als emissionsfreie Energiequelle kann er eine wichtige Rolle beim Klimaschutz spielen.
Und so forscht Anna-Lena Klingler mit ihrem Team auch daran, wie der Weg zu einer nachhaltigen Wasserstoffwirtschaft in Baden-Württemberg aussehen könnte – stets begleitet von den Fragen: Was ist machbar? Und: Werden die Bürger*innen »Grünen Wasserstoff« als Energieträger annehmen? Rund 20 Jahre nach der »flüssigen Solarzelle«, die sie als Schülerin entwickeln wollte, ist Anna-Lena Klingler ihrem Traum von damals, einen Beitrag zu einer nachhaltigen Zukunft zu leisten, ein gutes Stück nähergekommen.