NIKA – Nutzerzentrierte Interaktionsgestaltung für kontextsensitive und akzeptable Roboter
Wenn Roboter älteren Menschen Gesellschaft leisten sollen, müssen die Maschinen verstanden und akzeptiert werden. Wie das gelingt, erforscht das Fraunhofer IAO im Projekt NIKA, das vom Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg koordiniert wird.
Die alte Dame sitzt schon seit zwei Stunden teilnahmslos im Sessel ihrer betreuten Seniorenwohnung. Ihre Angehörigen wohnen Hunderte Kilometer entfernt, zudem herrschen wegen Corona Besuchsbeschränkungen. Wer könnte die Seniorin aus ihrer Apathie hervorlocken, sie zu körperlicher und geistiger Aktivität motivieren und ihr Lebensfreude vermitteln? »Für uns als Träger der Altenhilfe sind da natürlich in allererster Linie unsere Pflegenden und Betreuenden zuständig«, sagt Tibor Vetter vom Wohlfahrtswerk für Baden-Württemberg, der die Szene beschreibt. »Um unsere Mitarbeitenden in der angespannten Personalsituation bei ihren zahlreichen Aufgaben im Arbeitsalltag zu entlasten, sehen wir im künftigen Einsatz von Robotik eine Chance, um unsere Bewohnerinnen zu aktivieren und zu betreuen, gleichzeitig unser Personal zu unterstützen und zu entlasten.«
Dank Künstlicher Intelligenz (KI) und Sensorik können Roboter heute schon mit Menschen in Echtzeit interagieren. Sie eignen sich daher auch für die Aktivierung im Rahmen der Betreuung von Senioren. Die Frage ist nur: Wie gelingt das am besten? Mit welchem Verhalten und in welcher Gestalt finden Roboter Akzeptanz als »Partner« älterer Menschen? In welchen Bereichen können sie helfen, etwa beim Spiel oder beim Umgang mit dem Internet? Oder beim Aufbereiten der Lebenserinnerungen, indem sie dazu anregen, Fotos von früher anzuschauen? Generell stellt sich die Frage, wie Programmierer*innen eine universelle »Sprache« für die Interaktion zwischen Mensch und Maschine etablieren können, die nicht nur auf Wörtern beruht.
Um all dies zu erforschen, wählte das Wohlfahrtswerk das Fraunhofer IAO, das IAT der Universität Stuttgart, das IZEW der Universität Tübingen und die C&S Computer und Software GmbH als Partner für das gemeinsame Projekt »NIKA – Nutzerzentrierte Interaktionsgestaltung für kontextsensitive und akzeptable Roboter« aus. Denn in Stuttgart hat man bereits große Erfahrung mit der Gestaltung von Mensch-Maschine-Schnittstellen, aber auch mit Robotik und der Anwendung von Künstlicher Intelligenz.
»Wir sind von den drei heute schon existierenden Grundtypen von Robotern ausgegangen: menschenähnliche, tierähnliche und solche ohne Ähnlichkeit zu Lebewesen«, sagt Daniel Ziegler vom Fraunhofer IAO. »Wir wollten herausfinden, wie sich diese drei Roboter-Typen verständlich machen können, um in der Interaktion mit einem älteren Menschen bestimmte Emotionen oder Aktionen zu vermitteln – und welcher Typ mit welchem Verhalten bei den Senioren dann am besten ankommt.«
Die Planung des offiziell bis Juni 2021 laufenden Projekts sah vor, mit Dutzenden vom Wohlfahrtswerk ausgewählten älteren Menschen sowohl aus ambulanter aus auch teilstationärer Pflege die unterschiedlichen Roboter in Interaktions-Situationen vor Ort zu erproben. Leider machte das Coronavirus diesen Begegnungen vorerst einen Strich durch die Rechnung.
»Trotz Corona konnten wir beispielsweise die Online-Simulation eines interaktiven Quiz-Spiels mit dem hundeähnlichen Roboter ›MIRO‹ als Spielpartner erproben«, sagt Zieglers Kollegin Kathrin Pollmann. Dabei sehen und hören die mitspielenden Senior*innen den sprechenden Roboter so agieren, als ob er ihnen in der Wohnung gegenübersäße. MIRO spitzt etwa die Ohren, wenn er auf eine Antwort wartet, oder schüttelt den Kopf, um Erstaunen über die richtige Antwort auf eine schwierige Quizfrage auszudrücken. Welche äußere Gestalt ein Roboter als Ansprechpartner und Gegenüber idealerweise hat, sei nach neuen Forschungserkenntnissen nicht eindeutig, sondern variiere von Mensch zu Mensch, erklärt Pollmann: »Das muss nicht zwangsläufig der menschenähnliche Typ sein, denn auf viele Menschen wirkt es eher gruselig und abstoßend, wenn die Maschine uns allzu stark ähnelt.«
Allerdings sollte ein alter Mensch auch nicht für verschiedene Robotertypen und Situationen immer wieder neue Interaktionssprachen lernen müssen. Die Expert*innen des Fraunhofer IAO haben daher eine Datenbank entwickelt, in der mehr als 30 Gestaltungsmodule mit verbalen oder gebärdenhaften Ausdrucksformen für bestimmte Interaktionssituationen abrufbar sind. Dieses »Pattern-Wiki« kann in Zukunft genutzt werden, um Roboter verschiedener Typen sehr effizient und flexibel für Betreuungssituationen zu programmieren. Die Projektpartner hoffen, in der ersten Jahreshälfte 2021 auch wieder vor Ort experimentieren zu können.
»In der Betreuung ambulant oder teilstationär pflegebedürftiger Senioren sind Roboter auf dem heutigen Stand der Technik bedingt nutzbar und nur in ausgewählten Bereichen. So kommt etwa die körperliche Pflege schon wegen der bislang unzureichenden technischen Ausgereiftheit nicht in Frage. Bis in diesem sensiblen und sehr persönlichen Bereich hierzulande an einen Einsatz von Robotern zu denken ist, müssen die Entwickler noch ein gutes Stück Arbeit leisten. Wozu sich Roboter aber prinzipiell eignen, ist die soziale Aktivierung der älteren Menschen. Die Maschine übernimmt dabei während der Abwesenheit menschlicher Ansprechpartner die Rolle eines Gegenübers, das ›zuhört‹ und durch seine eigene Beweglichkeit zu Aktivitäten ermuntert. Als stark in der Forschung und Entwicklung der Altenpflege tätiger Träger sind wir an der Schaffung eines universellen, modular aufgebauten Interaktionsmodus für solche Roboter interessiert. Dies umfasst ein akzeptiertes äußeres Erscheinungsbild – ob menschenähnlich, tierähnlich oder maschinenartig – sowie eine Interaktions-Sprache, die von den alten Menschen verstanden und auch gerne angewendet wird. Hier haben unsere gemeinsamen Studien mit dem Fraunhofer IAO im Rahmen des Projekts NIKA bereits zu einem tieferen Verständnis der Bedürfnisse älterer Menschen geführt. Eine vom Fraunhofer IAO entwickelte Datenbank mit Modulen zur einfachen Programmierung von Betreuungs-Robotern für mehr als 30 soziale Kontexte, die im Vorfeld ermittelt wurden, kann die Interaktion zwischen Mensch und Maschine in Zukunft erheblich vereinfachen.«