InnoNetz – Künstliche Intelligenz für Prozessautomatisierung im Innovationsnetzwerk Digitalisierung für Versicherungen
Prozessoptimierung hilft Versicherern, kosteneffizienter und kundenfreundlicher zu werden. Die Rolle von Künstlicher Intelligenz (KI) dabei erforschen Assekuranz-Unternehmen im gemeinsamen Innovationsnetzwerk mit dem Fraunhofer IAO.
Wenn Verena Pohl und Dr. Maximilien Kintz sich durch wirre Knäuel von »Spaghetti« kämpfen, tun sie das nicht unbedingt am Esstisch. »Was wir Spaghetti-Bilder nennen«, sagt Pohl, »sind Prozess-Diagramme, in denen man anhand verschlungener Linien nachvollziehen muss, wie die Abläufe in einer Versicherung funktionieren – etwa ab dem Eingang einer Kundenmail«, sagt Pohl. Wie ihr Kollege Kintz ist sie auf Seiten des Fraunhofer IAO seit langem im »Innovationsnetz Digitalisierung für Versicherungen« aktiv, in dem sich eine Reihe namhafter Assekuranz-Unternehmen über Zukunftsthemen austauschen.
Doch gerade die vielen Knoten der »Spaghetti« sind das Problem: Die über lange Zeit gewachsenen Prozesse in den Versicherungen sind oft umständlich, redundant oder im schlimmsten Fall schlicht chaotisch. Die Folge: Kund*innen müssen zu lange auf Bescheide warten, Anfragen bleiben unbeantwortet, Produkte werden nicht an neueste Trends angepasst. »Außerdem sind Beschäftigte im Kundenservice bei schlechtem oder verzögertem Informationsfluss nicht gut genug über die Anliegen und Hintergründe ihrer Gesprächspartner im Bilde«, sagt Carsten Gauch, Abteilungsleiter IT Service-Development beim Karlsruher BGV Badische Versicherungen. In Summe bliebe dann viel Geschäftspotenzial ungenutzt.
In der Ende 2020 abgeschlossenen Phase 2 des Innovationsnetzwerks wurden daher vom Fraunhofer IAO und den Assekuranz-Unternehmen besonders auf Möglichkeiten fokussiert, wie KI die Prozesse im Versicherungswesen optimieren kann. Sie könnte bei der schnelleren Antwort auf Anfragen der Kund*innen bis hin zu zielgenaueren Produkt-Empfehlungen im Kundengespräch helfen. »Als Startpunkt unserer Analyse haben wir besonders die Methode des Process Mining angewendet«, sagt Kintz.
Während der Begriff des Data Mining – die automatische Analyse einer riesigen Datenmenge auf bestimmte Merkmale – einer breiteren Öffentlichkeit schon eher bekannt ist, ist vielen das Verfahren des Process Mining noch nicht so geläufig. »Das Process Mining ist die Analyse von Protokolldateien, die Zeitstempel zu Aktivitäten enthalten«, erklärt Kintz. »So rekonstruiert man die Arbeitsabläufe in einer Organisation: Eingang der E-Mail, Weiterleitung, Bearbeitung, Abschluss.«
Die KI kann hierbei zu positiven Veränderungen beitragen. So kann sie beispielsweise dabei helfen, anfallende Arbeit so zu verteilen, dass es nicht zu Überlastungen und somit zu Ineffizienzen kommt. Darüber hinaus können KI-gestützte Assistenzsysteme Texte auf Schlüsselbegriffe hin analysieren, um Kundenanliegen zu erkennen und selbsttätig Arbeitsschritte wie etwa eine Vertragskündigung zu initiieren.
»Wir haben in Phase 2 des InnoNetzes unter anderem einige Demonstrationsversionen von KI-gestützter Assistenz-Software programmiert und ausprobiert«, berichtet Verena Pohl. So sei eLisA entstanden, welche bei Kundengesprächen im Callcenter mithört und die Wünsche und Anliegen, die an die Versicherung herangetragen werden, speichert. Auf dieser Basis gibt sie auf dem Monitor des Callcenter-Mitarbeitenden in Echtzeit Empfehlungen für ein verbessertes Cross-Selling – also Produkte, die der Anrufer in seiner Situation zusätzlich empfohlen bekommen sollte. Auch in Projekten außerhalb des Innovationsnetzwerks sind KI-Lösungen für das Versicherungsumfeld am Fraunhofer IAO entwickelt worden und dort bereits im Einsatz: das Texterkennungssystem Thorpedo zum Beispiel und ARPOS, ein Prüftool für Kalkulationen in Kfz-Schadenfällen.
»Aufgrund der erfolgreichen Arbeit in Phase 2 des Netzwerk-Projekts sind wir gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO in die nächste, vertiefende Phase eingetreten«, sagt IT-Experte Gauch vom teilnehmenden Versicherer BGV. Allerdings sei, so berichten Teilnehmer*innen auf allen Seiten des Netzwerkes, noch viel Überzeugungsarbeit in den Unternehmen notwendig, um auf allen Ebenen Akzeptanz für KI-gestützte Unterstützungslösungen zu finden. Bis dahin gilt es noch viele Spaghetti-Knoten zu entwirren.
»Künstliche Intelligenz ist keine digitale Zauberei, die den Menschen überflüssig macht. Unsere Diskussionen im Innovationsnetzwerk mit anderen Versicherern und dem Fraunhofer IAO zeigen seit Jahren, dass KI das Versicherungswesen effizienter und leistungsfähiger machen kann. Und dadurch hilft sie gerade den menschlichen Fachleuten aus Kundenberatung und Schadensbearbeitung. Denn diese erhalten dank digitalisierter Assistenten bessere und aktuellere Informationen, können schneller und prinzipiell objektiver entscheiden. Gerade die tiefen Einblicke, die wir im Netzwerk mittels Process Mining in unsere täglichen Arbeitsabläufe genommen haben, waren für mich sehr wertvoll. Das hat geholfen, Schwachpunkte und ›Bottlenecks‹ zu erkennen und zu entschärfen. Zudem gilt es, beim Umgang mit Künstlicher Intelligenz im Versicherungswesen auch die ethischen Aspekte im Blick zu behalten. Wir sind auch hier mit dem Fraunhofer IAO und externen Fachleuten im Gespräch. Zentral wichtig für unsere Kundschaft ist es dabei, dass alle KI-gestützten Entscheidungen auch jederzeit transparent gemacht werden können. Die Kunden dürfen nicht das Gefühl haben, dass auf der anderen Seite eine Black Box arbeitet, die nach unklaren Kriterien entscheidet.«
Im Rahmen des Innovationsnetzwerks Digitalisierung für Versicherungen wurde im Februar 2018 ein Hackathon mit 22 interdisziplinären Teilnehmer*innen aus Versicherungen durchgeführt.
Ziel war es, auf zwei Basistechnologien Prototypen für Chatbots zu erstellen, die Fragen von Kunden zur Jahresbeitragsrechnung beantworten können.