»Es kommt auf den Mut zum Ausprobieren an«
Wie kann der digitale Wandel in Unternehmen gelingen? Dieser Frage sind die Bertelsmann Stiftung und das Fraunhofer IAO im Rahmen der Studie »Erfolgskriterien betrieblicher Digitalisierung« nachgegangen. Im Interview erläutern Valerie Wienken und Claudia Ricci vom Fraunhofer IAO sowie Ole Wintermann von der Bertelsmann Stiftung Methoden und Ziele ihrer Studie.
Deutschland, so hört man immer wieder, verschläft den digitalen Wandel. War die Gefahr, dass die hiesige Wirtschaft den Anschluss verliert, ein Grund für Sie, diese Studie zu starten?
Ole Wintermann: Tatsächlich zeigen zahlreiche Studien einen großen Nachholbedarf, gerade kleiner und mittlerer Unternehmen beim Thema Digitalisierung. Das kann gefährlich werden, denn der digitale Wandel bringt vielfältige Veränderungen mit sich, auf die Unternehmen frühzeitig reagieren müssen. Nicht nur Produkte und Arbeitsprozesse verändern sich, mitunter werden ganze Märkte neu definiert. In einem Umfeld, das sich disruptiv verändern kann, müssen Unternehmen flexibel bleiben. Wie das funktioniert, beschäftigt die Bertelsmann Stiftung und das Fraunhofer IAO schon seit mehreren Jahren. Bereits 2015 haben wir gemeinsam zu diesen Themen geforscht – und gemerkt, dass wir viele Ideen teilen. Uns interessiert am digitalen Wandel weniger die rein technische Komponente als deren Folgen für Arbeitsprozesse, Organisationsstrukturen und Geschäftsmodelle. Im Zentrum steht für uns die Frage, wie Veränderung sich gestalten lässt.
Wie sind Sie diesmal bei der Erhebung der Daten vorgegangen?
Claudia Ricci: An unserer Studie haben 15 Unternehmen teilgenommen, darunter die Otto GmbH & Co. KG, die comdirect bank AG, die CEWE Stifung & Co. KGaA oder die R+V Versicherung AG, um ein paar größere zu nennen. Es waren aber auch kleinere Unternehmen vertreten, eine Sattlerei aus Dresden zum Beispiel, ein Pflegezentrum aus Gladbeck oder ein Druckfarbenhersteller aus Siegburg. Insgesamt decken wir hinsichtlich Branchen und Unternehmensgrößen ein ziemlich breites Spektrum ab. In einem ersten Schritt haben wir mittels eines webbasierten Assessment Tools der Bertelsmann Stiftung, dem »Digital Path Guide«, den Status quo der Digitalisierung in den Unternehmen quantitativ ermittelt. Es folgten qualitative Befragungen von Mitarbeitenden aus der Führungsebene. Um vom rein Anekdotischen hin zu empirischer Evidenz zu kommen, haben wir für unsere Befragung sechs Handlungsfelder definiert: Technisierung, Geschäftsmodelle, Arbeitsorganisation, Arbeitskultur, Führung sowie Kompetenzaufbau und Lernen. Zu unseren Hypothesen gehörte es ja, dass der Erfolg betrieblicher Digitalisierung von zahlreichen Faktoren wie Unternehmenskultur oder Organisationsstrukturen abhängt.
Die Unternehmen unterscheiden sich sehr voneinander – gilt das nicht auch für die Herausforderungen, die sie jeweils meistern müssen?
Valerie Wienken: Die technischen Mittel unterscheiden sich von Branche zu Branche. Was alle Unternehmen eint, ist die Frage, wie digitaler Wandel verstanden und umgesetzt wird. Die Unternehmen, die wir untersucht haben, haben bereits technische Voraussetzungen geschaffen. Die Frage ist: Was kommt dann? Arbeitet das Unternehmen mit der Technik wirklich effizienter? Werden Daten, die nun zur Verfügung stehen, wirklich genutzt, um beispielsweise neue Geschäftsmodelle zu entwickeln und neue Märkte zu erschließen? Oder wurde lediglich eine digitale Infrastruktur geschaffen, an deren Ende alles wieder ausgedruckt und abgeheftet wird wie früher? Der digitale Wandel ist ein Prozess. Es kommt immer wieder auf den Mut zum Ausprobieren an.
Was braucht es, damit Unternehmen den Weg Richtung Digitalisierung beschreiten?
Claudia Ricci: Die Unternehmensführung spielt eine zentrale Rolle. Sie setzt den Rahmen für eine erfolgreiche Digitalisierung, etwa indem sie mit gutem Beispiel vorangeht. Dazu gehört zum Beispiel, dass sie ein neues Social Intranet nicht nur einführt, sondern auch aktiv nutzt. Dazu gehört aber auch, dass sie den Mitarbeitenden Entscheidungsspielräume überlässt. Eine Unternehmensführung, die Mitarbeitenden die Möglichkeit einräumt, ihre Erfahrungen zu teilen und Ideen zu formulieren, schafft die Basis für wertvolle Veränderungsprozesse. Wir sprechen hier von »Räumen für Innovationen«. Das können physische oder virtuelle Räume sein, wichtig ist, dass die Mitarbeitenden sich austauschen. Es geht um Kommunikation auf Augenhöhe.
Ole Wintermann: Damit das gelingt, ist es wichtig, dass »Menschen« und nicht »Rollen« miteinander kommunizieren. Die Gefahr ist nämlich, dass die neuen »Räume für Innovationen« dann wieder von einigen wenigen Mächtigen beherrscht werden. Dann ist Innovation blockiert.
Warum spielt Kommunikation eine so zentrale Rolle?
Valerie Wienken: Der Digitale Wandel schafft Veränderungen in der Arbeitskultur und somit auch neue Konflikte oder gar Ängste, das ist völlig normal. Kommunikation schafft Transparenz und befördert somit eine Kultur des offenen Umgangs mit Veränderungen. Nur so können Konflikte gelöst und Ängste abgebaut werden.
Ole Wintermann: Diese Offenheit ist entscheidend, denn der Digitale Wandel fordert von Unternehmen bisweilen maximale Flexibilität, weil sie alte Marktgesetze aushebeln kann. Ein fiktives Beispiel: Ein Hersteller von Kunststoff, der vorwiegend CD-Hüllen produziert, kann im Zuge der Ausbreitung von Streamingdiensten massive Probleme bekommen, weil die Menschen weniger CDs kaufen. Er muss sich also neu aufstellen. Dafür braucht es Ideen – und Räume, in denen Ideen ausgetauscht werden können.
Lässt sich eine offene Kommunikationskultur verordnen?
Claudia Ricci: Nein, aber sie kann gezielt gefördert werden. Der Digitale Wandel ist ein steter Lernprozess, über den diskutiert werden muss. Geschieht das nicht, ist die Gefahr groß, dass neue Technologien für viel Geld angeschafft, ihre Potenziale aber nicht ausgeschöpft werden.
Valerie Wienken: Da wird dann, um noch ein fiktives Beispiel zu nennen, ein Webshop aufgezogen, aber im Hintergrund werden immer noch Bestellungen ausgedruckt und Listen abgehakt. Die vielen Möglichkeiten, die ein Webshop etwa hinsichtlich der Analyse der Kundendaten bietet, bleiben ungenutzt. Dabei könnten sie dem Unternehmen helfen, neue Dienstleistungen oder Geschäftsmodelle zu entwickeln. Die Unternehmen, die an unserer Studie teilgenommen haben, sind hier Pioniere.
Ole Wintermann: Digitalisierung schafft Veränderung und Veränderung braucht Sicherheit. Sicherheit kann aber nur durch die Menschen im Unternehmen erreicht werden. Eine unserer zentralen Erkenntnisse – und Botschaften an Unternehmen in Deutschland – lautet deshalb: Lasst eure Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter selbstbestimmt arbeiten! Das Coronajahr hat uns, neben allen Problemen, die Chance eröffnet, alte Routinen zu überprüfen. Das Homeoffice etwa hat sich vielerorts als äußerst effizient bewährt. Wir haben jetzt die Chance, umzudenken. Wir sollten sie nicht verspielen!