Turbinenwerk Mannheim – Digitale Bestandserfassung und Erzeugung eines digitalen Gebäude-/Geländemodells
Auf dem Gelände eines alten Turbinenwerks in Mannheim soll ein modernes Gewerbequartier entstehen. In der Planungsphase und später im Betrieb ermöglicht ein »Digitaler Zwilling«, an dessen Entwicklung das Fraunhofer IAO beteiligt ist, den ganzheitlichen Blick auf das Objekt.
Das Turbinenwerk in Mannheim-Käfertal liegt da wie ein schlafender Riese. Gewaltige Produktionshallen und Bürogebäude stehen auf dem knapp 18 Hektar großen Areal im Nordosten der Stadt. Die gesamte Gebäudefläche umfasst derzeit rund 100 000 Quadratmeter. Fast 120 Jahre lang wurden hier Generatoren und Turbinen gefertigt. Seit 2018 stehen die Bänder größtenteils still.
Die Aurelis Real Estate Service GmbH will das Areal nun wieder mit Leben füllen. 2019 erwarb die Immobiliengesellschaft mit Sitz in Eschborn das Grundstück – verknüpft mit der städtischen Auflage, es in einen vielseitigen Gewerbestandort zu verwandeln. »Das Gelände soll kleinen, mittleren und großen Unternehmen aus Produktion, Dienstleistung und Industrie eine Heimat bieten«, sagt Prof. Dr. Elmar Schütz, Leiter Development bei Aurelis.
Doch welche Eigenschaften müssen die Gebäude aufweisen, die hier errichtet werden? Und welchen Teil des Bestands kann man erhalten? Die Antworten auf diese Fragen müssen die Möglichkeit künftiger Entwicklungen berücksichtigen. »In Zukunft werden Unternehmen sich stets flexibel verändernden Marktbedingungen anpassen müssen«, sagt Elmar Schütz. Daraus folge, dass auch Immobilien wandlungsfähig sein müssten. »Mit Geschäftsmodellen verändert sich möglicherweise auch Raumbedarf«, so Schütz. Eine nachhaltige Planung trage diesem Umstand Rechnung.
Um auf dem Gelände des Mannheimer Turbinenwerks den Gewerbepark der Zukunft zu errichten, hat sich Aurelis im Vorfeld mit einer komplexen Aufgabenstellung an das Fraunhofer IAO gewandt. »Wir suchten zum einen nach einer Möglichkeit, die Planung so transparent wie möglich zu gestalten. Zum anderen wollten wir ein digitales Fundament für die Verwaltung eines Komplexes schaffen, der sich perspektivisch laufend verändern wird.«
Große Hallen für die Industrie neben hellen Coworking-Spaces für kleine Start-ups, Schwerlastkräne neben Fahrradstellplätzen, Lagerhallen neben E-Ladesäulen: Die Anforderungen künftiger Nutzer sind vielfältig. »Deshalb spielt bei einem solchen Projekt die Kommunikation eine zentrale Rolle«, so Schütz.
Die technische Plattform, die Aurelis seit 2019 gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO entwickelt, ist eine Repräsentanz des Turbinenwerks in der digitalen Welt – ein »Digitaler Zwilling«. Er vereint zum einen alle relevanten technischen Daten des Geländes und seiner Gebäude und macht sie so für Planer*innen stets abrufbar. Und sichtbar: Mithilfe des »Zwillings« lassen sich dreidimensionale digitale Modelle des Areals erstellen, die den Austausch zwischen den Akteur*innen erleichtern.
Mit dem Indoor-Viewer etwa lassen sich virtuelle Rundgänge auf dem Gelände vom Desktop-Computer aus unternehmen. »Das sind mehr als nette Spaziergänge«, sagt Günter Wenzel, Leiter Building Cultur Innovation am Fraunhofer IAO. Weil man zugleich Zugriff auf relevante technische Daten habe, könne man zum Beispiel ableiten, welche Idee machbar ist, und welche nicht. Ein weiteres digitales Modell stellt das Gelände aus der Vogelperspektive dar und kann geplante Veränderungen über die Zeit darstellen. »Indem er Pläne sichtbar machen kann, ermöglicht der Digitale Zwilling eine effektive Kommunikation der Beteiligten«, sagt Günter Wenzel.
Später, im Betrieb des Komplexes, komme die umfassende Datenbank erneut zum Zuge: »Sie erleichtert alle Prozesse rund um Verwaltung und Instandhaltung des Areals und – bei Bedarf – auch der Umgestaltung von Gebäuden. Der ›Digitale Zwilling‹ schafft die Basis für transparente Planung und reibungslosen Datenaustausch«, sagt Günter Wenzel.
»Nachhaltige Stadtentwicklung bedeutet, heute schon die Möglichkeit künftiger Wandlungsprozesse mitzudenken. Denn nur eine flexible Stadt ist auf gesellschaftliche und wirtschaftliche Umbrüche vorbereitet. Dasselbe gilt für Gebäude: Der Gewerbekomplex von morgen lässt sich bei Bedarf umgestalten, um sich verändernden Nutzungsanforderungen gerecht werden zu können. Auf dem Areal des Turbinenwerks Mannheim wollen wir dieses Konzept umsetzen. Ein wichtiges Hilfsmittel dafür ist ein ›Digitaler Zwilling‹, also eine umfassende digitale Repräsentanz des gesamten Komplexes. Er ermöglicht weitsichtige Planung und umfassende Kommunikation mit allen Beteiligten. Später, im laufenden Betrieb, erleichtert er die Verwaltung und Instandhaltung, weil er alle Daten an einem Ort bündelt. In Zukunft wird sicher jede komplexe Immobilie über einen solchen ›Digitalen Zwilling‹ verfügen. Noch aber ist das, was wir jetzt in Mannheim ausprobieren, sicher Pionierarbeit. Gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO bringen wir hier modernste Technologien zur Anwendung.«
In virtuelle Welten eintauchen, Engineering-Prototypen 3D-interaktiv und in 1:1 Größenverhältnissen erleben und dabei Gruppenentscheidungen fällen: Das bietet das »Immersive Engineering Lab« des Fraunhofer IAO in Stuttgart. Zwischen Virtualität und Realität liegt nur eine getrackte Shutter-Brille.