Automobiler Wandel: Perspektiven für die Beschäftigung 2030
Die Automobilindustrie ist im Umbruch. Welche Folgen haben Elektromobilität und Digitalisierung für die Jobs in Deutschlands Schlüsselbranche? Das Fraunhofer IAO hat dies jetzt erforscht – am Beispiel Volkswagen.
Durch den laufenden Umstieg des deutschen Automobilbaus auf Elektromobilität könnten in der Automobilbranche sehr viele Menschen ihren Arbeitsplatz verlieren, heißt es in den Medien. Was ist dran an den alarmierenden Schlagzeilen? In der Tat besteht der Antriebsstrang bei einem Elektrofahrzeug aus viel weniger Teilen als bei einem herkömmlichen Verbrenner. Zudem schreitet die Digitalisierung in allen Unternehmensbereichen schnell voran. Die Nationale Plattform Zukunft der Mobilität (NPM), ein Beratungsgremium der Bundesregierung, geht in einem Bericht davon aus, dass durch die tiefgreifende Transformation in der Automobilwirtschaft – einschließlich Zulieferer und Nebenbranchen – bis 2030 tatsächlich mehrere Hunderttausend Jobs wegfallen könnten.
Aber wird es die Beschäftigung wirklich so hart treffen? Werden sich der Umstieg auf die Elektromobilität und die wachsende Digitalisierung wechselseitig beeinflussen – und am Ende sogar gegenseitig verstärken? Und zu welchen Folgen am Arbeitsmarkt würde das führen? Werden die Menschen, die ihre Jobs verlieren, neue finden? Dazu gab es in Deutschland zwar schon erste Forschungsergebnisse, nicht zuletzt durch die seit 2010 mit Partnern aus der Automobilindustrie erstellten Studien ELAB und ELAB 2.0 des Fraunhofer IAO. Doch die Untersuchungen basierten auf globalen Statistiken der Gesamtbranche zum Ausbau der E-Mobilität. »Bisher hatte sich noch kein Automobilhersteller aufgrund realer Planungsdaten für seine Produktion in die Karten sehen lassen«, sagt Dr. Florian Herrmann, Forschungsbereichsleiter Mobilitäts- und Innovationssysteme beim Fraunhofer IAO.
Das änderte sich, als sich im Jahr 2019 der Nachhaltigkeitsbeirat des Volkswagen-Konzerns des Themas annahm. »Wir wollten die Beschäftigungseffekte von Elektromobilität und Digitalisierung genau untersuchen, weil sie den Volkswagen-Konzern sowohl ökonomisch als auch sozial stark betreffen«, sagt Michael Sommer, ehemaliger DGB-Vorsitzender und Mitglied des Nachhaltigkeitsbeirats. Das unabhängige Beratungsgremium gab die Studie »Beschäftigung 2030« in Auftrag und wählte dafür das Fraunhofer IAO als Forschungspartner aus. »Die Fachleute dort waren dank ihrer Erfahrung ideal positioniert, um theoretische Erkenntnisse mit der betrieblichen Praxis abgleichen zu können«, sagt Sommer.
Um den Zugang zur Praxisseite herzustellen, erreichte der Nachhaltigkeitsbeirat, dass das Unternehmen den Stuttgarter*innen seine konkreten Planungsdaten (Stand Ende 2019) offenlegte – sowohl für ein Elektrofahrzeug als auch für einen vergleichbaren Typ mit Verbrennungsmotor. »Wir hatten also konkrete Planzahlen direkt von Volkswagen vorliegen – und vollständigen Einblick in insgesamt 32 sogenannte Jobcluster«, sagt Herrmann, Studienleiter der drei beteiligten Forschungsbereiche des Fraunhofer IAO. Ein Jobcluster, etwa »Maschinenbediener«, umfasst alle relevanten Tätigkeiten in diesem Profil.
Die mit Spannung erwarteten Ergebnisse wurden vom Nachhaltigkeitsbeirat und dem Fraunhofer IAO Ende 2020 vorgestellt. »Demnach werden die Beschäftigungsverluste durch die Einführung der Elektromobilität bei VW in der Fahrzeugfertigung voraussichtlich weitaus geringer sein als in bisherigen globalen Studien prognostiziert«, so Studienleiter Herrmann. Zwar wird der durchschnittliche Personalbedarf in der Fahrzeugfertigung bis zum Jahr 2029 um 12 Prozent sinken. »Aber das liegt weniger am neuen Produkt E-Auto selbst«, erläutert Beiratsmitglied Sommer. »Es wird vielmehr Auslöser und Katalysator für Prozess- und Standortoptimierungen in verschiedenen Bereichen sein.«
Durch die fortschreitende Digitalisierung wird die Arbeit in den produktionsunterstützenden Funktionen Beschaffung, Finanzen und Personal zwar ebenfalls einem deutlichen Wandel unterworfen sein. »Die Beschäftigungsverluste bis 2030 werden dort nach heutiger Einschätzung aber sehr moderat ausfallen. Weil die Digitalisierung die Komplexität erhöht, wird es in einigen Bereichen zeitweilig sogar zu einem Jobzuwachs kommen«, so Herrmann.
Was allerdings überall im Konzern stark steigen wird, ist der Bedarf an neuem Wissen und Fachkenntnissen. »Entscheidend wird sein«, so Sommer, »wie schnell und umfassend VW für die notwendigen Neuqualifizierungen seiner Belegschaft sorgen kann.« Die notwendigen Qualifizierungsstrategien und -instrumente werden möglicherweise im Mittelpunkt einer Nachfolgestudie stehen.
»Volkswagen ist nach den Beschäftigtenzahlen der größte Arbeitgeber in der deutschen Automobilindustrie. Der Konzern steht deshalb traditionell zu seiner sozialen Verantwortung, muss aber auch das notwendige Innovationstempo gewährleisten, um am Weltmarkt erfolgreich zu bleiben. Von daher war der Vorstand sehr aufgeschlossen, als wir Mitglieder des Nachhaltigkeitsbeirats des Konzerns eine Studie initiierten, mit der die Folgen von Produktionsverlagerungen zur Elektromobilität und fortschreitender Digitalisierung für die Beschäftigung bei Volkswagen untersucht werden sollten. Wir wollten den in diesem Forschungsbereich schon sehr erfahrenen Fachleuten des Fraunhofer IAO erstmals echte Planungsdaten des Unternehmens an die Hand geben, um die Studienergebnisse so konkret und belastbar wie möglich zu machen. Auch diesem ungewöhnlichen Schritt hat der Konzernvorstand vorbehaltlos zugestimmt. Was die Ergebnisse angeht, so sind wir einerseits vorsichtig optimistisch: Arbeitsplatzverluste in Größenordnungen, wie sie teilweise als Prognosen für die Automobilbranche durch die Medien geistern, werden wohl vermieden werden können. Dadurch, dass sich die Umstellung vieler Prozesse über ein Jahrzehnt hinziehen wird, erhält Volkswagen genügend Zeit zu einer sozialverträglichen Gestaltung. Andererseits wird es aber entscheidend sein, die Belegschaft in vielen Bereichen neu und nachhaltig zu qualifizieren. Dies wird die eigentliche Herausforderung darstellen.«