ASE – Advanced Systems Engineering
Als Carl Benz 1885 den ersten Motorwagen in Mannheim baute, war die wichtigste Eigenschaft des Automobils seine Fähigkeit, sich fortzubewegen. Mit den Jahren erlebte das Auto zwar eine weitreichende technologische Evolution, blieb dabei jedoch, was es seit jeher war: eine relativ autonome Maschine. Mit dem digitalen Wandel ändert sich auch das: Das einzelne Auto wird zum Bestandteil gewaltiger Datensysteme. Kurz: Es vernetzt sich mit der Welt, in der es unterwegs ist.
Vom notwendigen Software-Update bis zur Parkplatzsuche in der Smart City: Das Auto von morgen erzeugt, verarbeitet, speichert und sendet pausenlos Informationen rund um seine Nutzung. Daten, die in erster Linie einen »Digitalen Zwilling« speisen, eine Repräsentanz des realen Fahrzeugs in der virtuellen Welt. Autobauer nutzen diese schon heute, um Fahrzeuge zu optimieren. So können Autos zum Beispiel eine notwendige Wartung erkennen und melden. Und das ist erst der Anfang. Von Carsharing bis Autonomes Fahren: Die Mobilität von morgen basiert auf einem Mix aus zentraler- und dezentraler Steuerung.
Und nicht nur das Auto wird zum Steinchen im gewaltigen Daten-Mosaik. Von Produktion über Landwirtschaft bis Medizintechnik: Indem die Digitalisierung den Produkten das Kommunizieren ermöglicht, hat sie das Potenzial, Märkte neu zu gestalten. »Isoliert agierende Produkte werden zu vernetzten Produkt-Service-Systemen«, sagt Mehmet Kürümlüoglu, Leiter Team Advanced Systems Engineering beim Fraunhofer IAO. »Der Traktor der Zukunft kann nicht nur ein Feld pflügen. Er errechnet mithilfe von Künstlicher Intelligenz auch gleich die optimale Fahrspur.« So rückt an die Stelle der klassischen Landmaschine ein komplexes, vernetztes System aus Mechanik, Elektronik, Software und Dienstleistung.
Wo Produkte in Systeme eingebunden sind, müssen Entwickler*innen völlig neu denken. »Bisher wurde erst das Produkt konzipiert – und dann die IT-Infrastruktur drumherum. In Zukunft werden in gut vernetzten, interdisziplinären Entwicklungsteams alle Systemkomponenten gleichwertig konzipiert und entwickelt«, sagt Mehmet Kürümlüoglu. Eine Aufgabe, die ein hohes Maß an disziplinübergreifender Kooperation erfordert. Hinzu kommt die Aufgabe, bestehende Produkte in die neuen Infrastrukturen einzugliedern. Denn bisher verfügt jedes Produkt und jede Disziplin über eigene (IT-)Systeme, also technologische Insellösungen, die im Zuge der Digitalisierung in übergreifende Systeme überführt werden müssen. »Der Fluss von Informationen muss über alle involvierten Systeme sowie den gesamten Lebenszyklus des Produkts hinweg reibungslos funktionieren«, so Kürümlüoglu.
Eine Aufgabe, mit dem sich das Forschungsprogramm »Advanced Systems Engineering« am Fraunhofer IAO beschäftigt: Hier schaffen Forscher*innen die Basis für eine effiziente Entwicklung neuer Produkt-Service-Systeme, die sich in Systems-of-Systems integrieren. Und erleichtern vielen Unternehmen so den komplexen, aber notwendigen Schritt in die digitale Welt. Denn Digitalisierung, Systemkomplexität, das Auftauchen disruptiver neuer Geschäftsmodelle, Mass Customization und die steigende Volatilität zwingen Entwickler*innen immer schneller und flexibler mit neuen Produkten und Lösungen auf Marktbedürfnisse zu reagieren. Hierfür braucht es eine effiziente und integrierte Planung und Steuerung von Produkten, Dienstleistungen, Prozessen und Ressourcen, wie es das »Advanced Systems Engineering« ermöglicht.
Konkret widmen sich die Forscher*innen hier der Frage, wie Unternehmen neue Produkte möglichst flexibel und effizient entwickeln können. »Wir helfen unseren Kunden, Komplexität zu reduzieren und zu beherrschen«, sagt Benjamin Schneider aus dem Team Advanced Systems Engineering. Zu den Technologien, die das Fraunhofer IAO für seine Kunden nutzbar machen will, gehören Technologien wie Digitale Zwillinge, die modellbasierte Systementwicklung (MBSE), das Product-Lifecycle Management (PLM), das Software-defined Manufacturing (SDM), smarte Produktionsmodelle, wertstromgerechte Produkt- & Produktionssystemgestaltung Informations- und Datenflüsse in der Produktentstehung, Assistenzsysteme, Künstliche Intelligenz (KI) sowie kollaborative räumliche Visualisierung & Smarte Systemkonfiguration
Um Unternehmen die Möglichkeiten des »Advanced Systems Engineering« zu präsentieren, hat das Fraunhofer IAO ein »Cognitive Engineering and Production Lab« realisiert, in dem die Prinzipien des »Advances Systems Engineering« am Beispiel eines Technologieträgers erläutert und demonstriert werden. Der Technologieträger wird hierbei von einem Getriebegehäuse, das zu einem vernetzten mechatronischen System erweitert wurde, repräsentiert. Zudem hat das Institut das Mobile Plug-In-Labor konzipiert, das Technologien und Methoden direkt beim Kunden vor Ort erläutert. Das Labor ist in einem Container untergebracht, der flexibel an unterschiedlichen Orten aufgestellt werden kann. »In einem ersten Schritt wollen wir die Möglichkeiten des ›Advanced Systems Engineering‹ erlebbar machen,« sagt Benjamin Schneider. »In einem zweiten Schritt können wir mit unseren Kunden in den Laboren aber auch maßgeschneiderte Lösungen für ihren Anwendungsfall entwickeln.«
»Gerade für kleine und mittelständische Unternehmen stellen Digitalisierung und Industrie 4.0 große Herausforderungen dar. Zum einen entwickeln sich klassische Produkte zu komplexen und vernetzten ›Produkt-Service-Systemen‹. Zum anderen erfordern sich verändernde Marktbedürfnisse, dass Produkte immer schneller und effizienter entwickelt und gefertigt werden. Unser Team, das aus Expert*innen aus den Bereichen Maschinenbau, Systementwicklung und Technologiemanagement besteht, entwickelt Methoden und Technologien, um Unternehmen bei der Handhabung der entstehenden Komplexität zu unterstützen. Unser ›Cognitive Engineering Lab‹ und unser ›Mobiles Plug-In Labor‹ machen neue Technologien erlebbar und bieten Unternehmen die Möglichkeit, ganz konkret mit der Arbeit an ihrem Anwendungsfall zu beginnen und maßgeschneiderte Lösungen für sich zu entwickeln.«