Die Coronapandemie hat einen Digitalisierungsschub ausgelöst und unsere Arbeitswelt massiv verändert: Die Flexibilisierung von Arbeitsorten und -zeiten hat nicht nur die Arbeitspraxis von Mitarbeitenden und Führungskräften verändert, sondern auch ihre Erwartungen an die zukünftige Gestaltung ihrer Arbeit. Die Büros sind längst wieder offen, das hybride Arbeiten ist geblieben. Doch wie lassen sich Produktivität, Innovationskraft und Bindung in der Hybridität langfristig sichern? Um diese ungeklärten Fragen zu erforschen, ging die Projektinitiative »Connected Work Innovation Hub« in diesem Jahr in die zweite Runde, nachdem in der ersten Projektphase grundlegende Erkenntnisse zu Führung, Innovation, Mitarbeitendenbindung, Leistungsmessung und Büroinfrastruktur gewonnen wurden. »Gemeinsam mit Expertinnen und Experten aus 13 Partnerorganisationen haben wir die wesentlichen Handlungsfelder einer Arbeitswelt zwischen Virtualität und Präsenz bearbeitet: von der Performance der Mitarbeitenden über den Klimaschutz bis hin zur Selbstorganisation in der hybriden Arbeitswelt«, erklärt Projektleiter Dr. Stefan Rief, Institutsdirektor und Leiter des Forschungsbereichs »Organisationsentwicklung und Arbeitsgestaltung« am Fraunhofer IAO. Die gesammelten Ergebnisse inklusive praxisnaher Lösungsansätze können im kostenlosen Report »Connected Work Innovation Hub – Produktivität, Innovationskraft und Bindung in der Hybridität langfristig sichern« heruntergeladen werden.
Produktivität ist ungebrochen hoch, Gefahr der sozialen Erosion ist gegeben
Die Befragten – sowohl Beschäftigte als auch Führungskräfte – sehen die Produktivität ungebrochen positiv. Im Zuge der Digitalisierung der Arbeit stehen immer leistungsfähigere Tools zur individuellen Selbstoptimierung oder auch zur Messung und Steuerung der Teamleistung sowie Tools für Personalprozesse wie Zielvereinbarungen zur Verfügung. Auch die informellen Kontakte im eigenen Team und zur Führungskraft sind gut: Die Mehrheit der Befragten fühlt sich »gesehen«, gut integriert und von der Führungskraft ausreichend wahrgenommen. Gleichzeitig spüren die Befragten deutlich die Auswirkungen der sozialen Erosion: Veränderungen in den sozialen Beziehungen im beruflichen Kontext, die neben der rein fachlichen Zusammenarbeit immens wichtig sind, um effektiv zusammenzuarbeiten. Sie beklagen eine Verschlechterung der Kontakte zu Kolleginnen und Kollegen außerhalb des eigenen Teams, eine unzureichende Umsetzung systematischer Feedbackschleifen und eine fehlende Wahrnehmung von Überlastungen einzelner Kolleginnen und Kollegen durch eine stark eingeschränkte gemeinsame Präsenz.
Instrumente der Retention und der Führungsorganisation an die neue Arbeitswelt anpassen
Welchen Einfluss hat Hybridität auf die Personalgewinnung und -bindung? Die Antwort ist vielschichtig: Hybridität wirkt sich sowohl erleichternd als auch erschwerend auf die verschiedenen Phasen des Personalzyklus aus. Die Herausforderung, so die Expertinnen und Experten des Fraunhofer IAO, bestehe daher vor allem darin, die vorhandenen Instrumente gezielt an die hybriden Bedingungen anzupassen. Dies gelte auch für Führung und Selbstorganisation in hybriden Unternehmen, so Mitautorin und Co-Projektleiterin Dr. Josephine Hofmann, die am Fraunhofer IAO das Team »Zusammenarbeit und Führung« leitet. »Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass sich das gesamte Führungssystem an die neuen Bedingungen anpassen muss. Führungsarbeit wird in Zukunft vor allem Beziehungsarbeit sein und die Entwicklung der eigenen Führungspräsenz wird damit zu einer zentralen Aufgabe für Führungskräfte.« Vor allem empathische Kommunikation und digitale Kommunikationskompetenz werden immer wichtiger, so die Wissenschaftlerin. Ihre Prognose: Während KI-unterstützte Führung zur Normalität wird, nehmen gleichzeitig Teamverantwortung und Selbstmanagement zu.
Hybridität als Chance für mehr Nachhaltigkeit
Neben der Förderung eines klimabewussten Verhaltens der Mitarbeitenden wurden im Rahmen der Studie auch die Klimawirkungen von mobilem Arbeiten, Videokonferenzen statt Dienstreisen und Desksharing untersucht. Dabei quantifizierten die Forschenden unter anderem die möglichen CO2-Einspareffekte in Abhängigkeit von der Desksharing-Quote. Die Berechnungen der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigen unter anderem, dass Unternehmen mit den Gestaltungsmöglichkeiten der Hybridität ihre Klimawirkungen spürbar beeinflussen können: Für einen 28 Quadratmeter großen, gasbeheizten Arbeitsbereich sind durch Desksharing Einsparungen von bis zu 40 Prozent möglich.
Ab Januar 2023 geht das Projekt in die dritte Phase, dann mit dem Fokus auf adäquate Rahmenbedingungen für Kreativität und Innovation, neue Lern- und Wissensmanagementformate, die Beibehaltung von Informalität und persönlicher Bindung, individualisierte Anreiz- und Führungssysteme sowie Optionen für Mitarbeitende Ü50.