Viele Städte und Kommunen stehen derzeit unter Druck, den öffentlichen Raum neu zu gestalten und mit Konzepten und Lösungen einer gerechteren Verteilung und nachhaltiger Mobilität Rechnung zu tragen. Im vom BMBF geförderten Projekt »NUMIC – Neues urbanes Mobilitätsbewusstsein in Chemnitz« hat das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO gemeinsam mit der Stadt Chemnitz und weiteren Partnern aus Wissenschaft und Praxis diese Anforderung unter die Lupe genommen und die Stadt über den Zeitraum von drei Jahren in ein Reallabor verwandelt.
Basis des Projekts bildete eine co-kreative und partizipative Herangehensweise an die Frage, wie sich eine nachhaltigere Mobilität fördern und im Alltag der Bürgerinnen und Bürger verankern lässt. Die Chemnitzer Bevölkerung war von Beginn an mit einbezogen und wirkte von der Ermittlung über die Konzeption bis zur Evaluierung durch die Einbindung in einem moderierten, offenen Innovationsprozess mit. Somit trugen sie aktiv zur Entwicklung einer partizipativen, Identifikation stiftenden Planungsmethodik und Mobilitätslösung bei, wodurch ein nachhaltigeres Mobilitätsverhalten angeregt werden konnte. Dies förderte auch die Auseinandersetzung mit den betreffenden Quartieren und der Stadt als Ganzes. »Im Projekt wurde das Thema nachhaltige urbane Mobilität anhand einer Modellroute erprobt und dauerhaft in kommunalen Planungs- und Entscheidungsprozessen verankert«, sagt Simone Martinetz, wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungs- und Innovationszentrum Kognitive Dienstleistungssysteme KODIS des Fraunhofer IAO, die das Projekt leitete. Das vorliegende Handbuch »Was Bürgerinnen und Bürger bewegt« soll nicht nur dazu beitragen, die wechselseitigen Perspektiven sowie die Erwartungen der beteiligten Akteure zu reflektieren. Es soll auch beispielhaft Wege aufzeigen, wie sich ämter- und projektpartnerübergreifende Themen managen und optimieren lassen, um urbane Mobilität nachhaltig gemeinsam mit der Bevölkerung zu gestalten. Und so lassen sich die Erfolge des Projekts nicht nur an diversen umgesetzten Gestaltungsmaßnahmen im Straßenraum, sondern auch an vielen nachhaltig bewegten Teilnehmenden festmachen.
Mit der NUMIC-App die Mobilität der Zukunft aktiv mitgestalten
Nachhaltige Mobilität ist nicht nur ein hochpolitisches Thema, sondern auch eines mit dem die Bürgerinnen und Bürger fast täglich in Berührung kommen. »Mit der NUMIC-App steht den Bewohnerinnen und Bewohnern von Chemnitz ein einfach zu bedienendes Instrument zur Verfügung, über welches sie Feedback zu zurückgelegten Rad- und Fußwegen geben können. Ganz gleich, ob es sich dabei um Schlaglöcher auf einem Radweg oder um einen Lieblingsplatz zum Verweilen handelt. Konkret funktioniert die App via GPS-Modul«, erläutert Stefan Schick, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Fraunhofer IAO, der im Projekt die App entwickelt und zum Einsatz gebracht hat. Dabei wird in einem ersten Schritt ein Weg angelegt und das genutzte Transportmittel ausgewählt, bevor man die Aufzeichnung startet. Das Tracking läuft im Hintergrund. Insgesamt wurden durch die App-Nutzenden 1959 Wege in Chemnitz aufgezeichnet und 144 Meldungen zu allen möglichen mobilitätsbezogenen und städtebaulichen Themen abgegeben, die nach und nach innerhalb der Stadtverwaltung bearbeitet und in zukünftige Vorhaben integriert wurden. »Auf diese Weise haben wir die Bevölkerung in die Lage versetzt, digital und proaktiv bei der kommunalen Verkehrs- und Stadtplanung mitzuwirken«, so Schick weiter.
Umdenken und Umlenken hin zu kreativen Frei- und Experimentierräumen
Das Forschungsteam empfiehlt, dass Stadtverwaltungen bei Innovationsthemen aus ihren oftmals hierarchischen und starren Strukturen ausbrechen müssen, und rät zur Bildung von Projektteams analog zu Unternehmen. Es müsse klar definiert werden, welche Kompetenzen das Team hat und auf welche Struktureinheiten es wirken darf. Außerdem sei das Lösen von papierbasierten Stadt- und Verkehrsplanungen ein weiterer wichtiger Schritt, um die digitale kollaborative Zusammenarbeit zu fördern. Generell sieht das Team großes Potenzial in der Nutzung digitaler Unterstützungstechnologien im Hinblick auf die Planungsprozesse, da beispielsweise Virtual Reality (VR) und Augmented Reality (AR) dabei helfen können, interessierten Bürgerinnen und Bürger einen realitätsnahen Einblick in die Planungsergebnisse zu bieten.
Aus Sicht des Forschungsteams hat es sich in mehrerlei Hinsicht gelohnt, mit der Bevölkerungsbeteiligung einen neuen Weg in Sachen Mobilitätsplanung zu gehen, weil einerseits die Chance auf eine langanhaltende gesellschaftliche Bewusstseinsänderung vergrößert wurde, und andererseits die politische und öffentliche Sphäre dieses Engagement mit Aufmerksamkeit belohnt. So berichtete etwa die Hälfte der involvierten Bürgerinnen und Bürger, dass die im Rahmen von NUMIC durchgeführte Bürgerbeteiligung ihr Bewusstsein für die nachhaltige Mobilität erhöht habe. Außerdem wurde das Projekt für den Innovationspreis Reallabore des Bundesministeriums für Wirtschaft und Klimaschutz nominiert.