Klimawandel, Energiewende, steigende Kosten, Digitalisierung, demografischer Wandel, Strukturwandel, anwachsende Bürokratie, Migration oder technologischer Fortschritt – heutige Quartiersentwicklungen sind Schaufenster zukünftiger Arbeits- und Lebensstile, gleichzeitig stehen sie vor großen weitgreifenden Herausforderungen. Angesichts dieser vielfältigen Einflussfaktoren und langfristiger Planungshorizonte ist ein Umdenken in der Planung und Entwicklung städtebaulicher Strukturen dringend geboten.
Um neue Lösungsansätze zu entwickeln und mögliche Zukünfte zu bewerten, entwickelt das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO im Innovationsnetzwerk »Future District Alliance« strategische Zukunftsszenarien für das Quartier von morgen. »Dabei ist die Quartiersebene für die Zukunft unserer Städte besonders entscheidend: Viele Herausforderungen lassen sich auf Ebene einzelner Gebäude nicht mehr bewältigen – es gilt gebaute Umgebung, öffentliche Räume, Umwelt, soziale Faktoren und Infrastruktur zusammenzudenken«, erklärt Steffen Braun, Leiter des Forschungsbereichs »Stadtsystemgestaltung«.
Quartiere als zentrale Handlungsebene der Zukunft
Die Zukunftsszenarien stellen einen wissenschaftlich begründeten Ansatz dar, wie es gelingen kann – egal ob für Fachöffentlichkeit, Kommunalverwaltung, Projektentwicklung, Finanzierung oder spätere Nutzende – die essenziellen Leitplanken und Handlungsfelder für eine zukunftsgerichtete Quartiersentwicklung zu beschreiben. In einem mehrstufigen Forschungsprozess mit Einsatz von KI-basierten Instrumenten und Szenariotechnik sowie gezielter Einbindung von interdisziplinären Expertinnen und Experten wurden die folgenden sechs Zukunftsszenarien für das Jahr 2053 identifiziert:
Szenario 1 – Transformation Town 2053 (TT)
»Was wäre, wenn die Hyperglobalisierung zu einer wandernden Gesellschaft führt, und Lebens- und Arbeitsorte nicht mehr miteinander übereinstimmen, sondern zu einem räumlich autonomen Netzwerk mit Polyzentren zusammenwachsen.«
Stärkste Einflussfaktoren:
- Globalisierung und Individualisierung
- Neue Arbeitswelt und dritte Orte
Szenario 2 – Watagon Ward 2053 (WW)
»Was wäre, wenn das Element Wasser die Stadtstrukturen von morgen nachhaltig prägen und zu Strukturen auf/mit dem Wasser führen würden, die modular bespielbar und veränderbar wären, ohne in das Ökosystem einzugreifen?
Stärkste Einflussfaktoren:
- Klimaschutz und Klimawandelfolgen
- Urbane Resilienz
- politische Rahmenbedingungen
Szenario 3 – Hyperdensity Hood 2053 (HH)
»Was wäre, wenn wir Quartiere im Sinne eines Dorfes als Wertegemeinschaft auch in der Vertikalen so entwickeln, dass sich das Quartier weitestgehend selbst versorgt und sich ein selbstorganisiertes Leben im Quartier entfalten kann?«
Stärkste Einflussfaktoren:
- Demografischer Wandel
- Urbanisierung
- Gemeinwohlökonomie
Szenario 4 – Ecosystems Community 2053 (CC)
»Was wäre, wenn der Erhalt von Biodiversität in der gebauten Umgebung eine zentrale Zielgröße wird und Quartiere als ›Reservate‹ für Tier- und Pflanzenwelt von morgen geplant und gehegt werden?«
Stärkste Einflussfaktoren:
- Stadt-Umland-Systeme
- Deglobalisierung
- Autarke Gemeinschaften
Szenario 5 – Photosynthesis Precinct 2053 (PP)
»Was wäre, wenn ein Quartier als aktive CO2-Senke fungiert und mehr CO2 aufnehmen und speichern kann im Lebenszyklus als es bei Planung und Bau und Betrieb verbraucht?«
Stärkste Einflussfaktoren:
- Biotechnologischer Fortschritt
- Klimaschutz und Klimawandelfolgen
- CO2als neue Ressource
Szenario 6 – Immersive Distributed District (DD)
»Was wäre, wenn die technologischen Möglichkeiten von erweiterter Realität (XR), virtueller Gemeinschaften und Gamification-Ansätzen eine neue Art von physisch-virtuellen Stadträumen für Wohnen, Leben und Arbeiten zulässt?«
Stärkste Einflussfaktoren:
- Netzwerkesellschaft
- Digitale Plattformen/Metaverse
- Künstliche Intelligenz