Ein umfangreiches Umdenken im Engineering der Marktleistungen von morgen fordern Wissenschaftler*innen des Fraunhofer IAO, des Fraunhofer IEM, des Fraunhofer IPK, des IPEK – Institut für Produktentwicklung gemeinsam mit acatech – Deutsche Akademie der Technikwissenschaften. Grundlage ist eine umfangreiche Erhebung zum Leistungsstand des Engineerings in Wirtschaft und Wissenschaft, die vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Rahmen des wissenschaftlichen Projekts »AdWiSE« gefördert und auf der Hannover Messe Digital Edition 2021 veröffentlicht wurde. Advanced Systems Engineering (ASE) bietet Unternehmen einen Handlungsrahmen, mit dem sie ihre Produkte auch in Zukunft erfolgreich im internationalen Wettbewerb platzieren. Das BMBF fördert Forschung und Entwicklung zum ASE mit einer breit angelegten Fördermaßnahme aus bundesweiten Verbundforschungsprojekten sowie dem wissenschaftlichen Projekt AdWiSE mit insgesamt 31 Millionen Euro.
Ganzheitliches Zusammenwirken von Mensch, Organisation und Technik
Die Kernthese des AdWiSE-Forschungskonsortiums: Deutsche Unternehmen sind traditionell stark im Engineering, stehen künftig aber vor großen Herausforderungen. Die erfolgreiche Entwicklung autonomer, interaktiver und dynamisch vernetzter Produkte mit steigendem Software- und Service-Anteil gelingt nur durch ebenso innovative Lösungen im Engineering. Die Verbundprojekte in der BMBF-Fördermaßnahme »Advanced Systems Engineering« bewegen sich dafür in einem Handlungsrahmen, der das ganzheitliche Zusammenwirken von Mensch, Organisation und Technik betrachtet: Durch den Einsatz neuer Technologien und Methoden sowie die Weiterentwicklung von Kompetenzen wie Kreativität und Agilität stellen Unternehmen ihr Engineering zukunftsfähig auf.
Prof. Dr.-Ing. Ina Schieferdecker, Ministerialdirektorin im Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF), Generaldirektorin für Forschung für technologische Souveränität und Innovationen: »Deutsche Ingenieursarbeit und Innovationskraft sind im internationalen Vergleich führend. Um diese Position beizubehalten und den Innovationsstandort Deutschland technologisch souverän aufzustellen, fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung das Thema Advanced Systems Engineering aktuell mit neun Forschungsverbundprojekten sowie dem flankierenden wissenschaftlichen Projekt AdWiSE. Dabei ist wichtig, dass für die erfolgreiche Wertschöpfung der Zukunft Lösungen in interdisziplinärer Zusammenarbeit und für jede Unternehmensgröße entwickelt werden.«
Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie BDI und Mitglied des acatech-Präsidiums: »Engineering ist ein wichtiger Erfolgsfaktor unserer Wertschöpfung. Auf diesem Erfolg dürfen wir uns aber nicht ausruhen: Megatrends wie Digitalisierung und Künstliche Intelligenz erfordern, dass Unternehmen ihr Engineering neu aufstellen, um sich im Wettbewerb von morgen vorteilhaft zu positionieren. Advanced Systems Engineering schafft hier einen überzeugenden Ansatz.«
Advanced Systems Engineering: Engineering neu definieren
Die Entwickler*innen der Innovationen von morgen haben die entstehende Marktleistung von der Planung bis in den Betrieb stets im Blick, sie arbeiten unternehmensübergreifend mit verschiedenen Fachdisziplinen zusammen und setzen neue digitale Technologien und Arbeitsmethoden ein. Der Begriff Engineering muss in Deutschland dafür neu definiert werden, finden die Wissenschaftler*innen.
Prof. Dr.-Ing. Roman Dumitrescu, Direktor am Fraunhofer IEM und acatech-Mitglied: »Wir benötigen ein breites Verständnis von Engineering über die gesamte Wertschöpfungskette. Advanced Systems Engineering steht für die Perspektive, die Wertschöpfung durch das Engineering grundlegend neu zu denken und neu zu entwickeln. Von der Planung über die Entwicklung und Herstellung bis in den Betrieb und darüber hinaus betrachtet ASE alle Tätigkeiten, die notwendig sind, um ein technisches System erfolgreich am Markt zu platzieren.«
Prof. Dr.-Ing. Oliver Riedel, Institutsleiter des Fraunhofer IAO: »Markterfolg erfordert heute attraktive Marktleistungen, die über die Nutzungsdauer anpassbar sind und effizient und in kurzer Zeit entwickelt werden können. Aus Engineering-Sicht ist es daher entscheidend, alle Disziplinen effizient zu integrieren und von der ersten Idee bis zum Update im laufenden Betrieb alle Phasen des Produktlebenszyklus zu betrachten und zu integrieren. Das erfordert einerseits neue Strukturen in der Organisation und in der IT-Infrastruktur, aber andererseits auch neue Kompetenzen im Hinblick auf das Systemverständnis. ASE unterstützt diesen Betrachtungsrahmen und fordert somit ein breiteres Verständnis des Engineerings«.
Die Handlungsfelder von Advanced Systems Engineering im Überblick:
- Advanced Systems: Fokussiert die Marktleistungen von morgen: intelligente technische Systeme, die zunehmend autonom und vernetzt sind.
- Systems Engineering: Beschreibt die Entwicklungsdisziplin, die für das systemische Denken und das interdisziplinäre Zusammenarbeiten steht.
- Advanced Engineering: Steigert die Leistungsfähigkeit des Engineerings mit neuen digitalen Technologien und Methoden.
Wandel der Unternehmensorganisation als Chance für alle
Unternehmen sind im Wandel: Für eine erfolgreiche Wertschöpfung führen Betriebe Kompetenzen und Wissen unternehmensintern und übergreifend zusammen. Dies geht einher mit einer zunehmenden Auflösung traditioneller Abteilungs- oder Branchengrenzen zugunsten interdisziplinärer Zusammenarbeit in Netzwerken. Advanced Systems Engineering wirft neue Perspektiven sowohl auf die unternehmensinterne Zusammenarbeit als auch auf die Kollaboration innerhalb von Wertschöpfungsnetzwerken.
Christiane Benner, Zweite Vorsitzende der IG Metall: »Die Organisations- und Arbeitsformen in den Unternehmen ändern sich derzeit massiv. Gute Zusammenarbeit zwischen unterschiedlichen Bereichen und Disziplinen der Unternehmen ist ein Erfolgsfaktor für Veränderungen. Ebenso wie Mitbestimmung von Betriebsräten und Beteiligung von Beschäftigten. Wichtig ist dabei eine kluge und vorausschauende Personalentwicklung – insbesondere eine Strategie zur fachlichen und methodischen Weiterbildung der Beschäftigten.«
Hintergründe zur Erhebung
Beginnend im Oktober 2019 haben die Wissenschaftler*innen des geförderten Projekts AdWiSE den Ist-Stand des Engineerings in Deutschland strukturiert und analysiert. Dazu gehörten qualitative Interviews mit über 100 nationalen und internationalen Expert*innen und Führungskräften aus Industrie und Wissenschaft zu aktuellen Herausforderungen und Perspektiven im Engineering. Eine Kennzahlenerhebung in Wissenschaft und Lehre unterstützte die Analyse der Position Deutschlands im internationalen Vergleich. Die Ergebnisse wurden in einem erweiterten Fachkreis kontinuierlich diskutiert und ergänzt.
Das BMBF fördert Forschung und Entwicklung zum Advanced Systems Engineering mit vielfältigen Projekten
Die Forschung zum Advanced Systems Engineering wird fortgeführt: In der Fördermaßnahme »Beherrschung der Komplexität soziotechnischer Systeme – Ein Beitrag zum Advanced Systems Engineering für die Wertschöpfung von morgen (PDA_ASE)« des BMBF entwickelt das wissenschaftliche Projekt AdWiSE eine Engineering-Strategie 2035 mit Handlungsempfehlungen für Industrieunternehmen aber auch für Lehre und Forschung an Hochschulen, in Zusammenarbeit und im Austausch mit den neun Verbundprojekten. AdWiSE begleitet und vernetzt die Verbundprojekte. Diese haben eine große Themenvielfalt, von der Entwicklung domänenübergreifender Methoden für ein Advanced Systems Engineering im Bereich der Medizintechnik über die Entwicklung eines unternehmensinternen und nutzerzentrierten Assistenzsystems für einen durchgängig digitalen Produktentstehungsprozess hin zur menschorientierten Gestaltung komplexer System of Systems. Kleine und mittlere Unternehmen stehen dabei besonders im Blick.
Die Förderung erfolgt durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) im Programm »Innovationen für die Produktion, Dienstleistung und Arbeit von morgen«, Fördermaßnahme »Beherrschung der Komplexität soziotechnischer Systeme – Ein Beitrag zum Advanced Systems Engineering für die Wertschöpfung von morgen (PDA_ASE)« von Juni 2019 bis Februar 2024 mit insgesamt 31 Millionen Euro. Betreut wird die Fördermaßnahme vom Projektträger Karlsruhe (PTKA).