Etwa 70 Prozent der Landesfläche nimmt der Ländliche Raum in Baden-Württemberg ein mit rund 35 Prozent der Landesbevölkerung, die dort leben – 15 Prozent mehr als im deutschlandweiten Vergleich. In Bezug auf die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit, die Anzahl der Arbeitsplätze und Einrichtungen der Daseinsvorsorge vor Ort liegt der Ländliche Raum Baden-Württembergs auf Augenhöhe mit den Ballungsräumen anderer Bundesländer. Durch die niedrige Bevölkerungsdichte sind Nahversorgung, Dienstleistungen und Arbeitsplätze jedoch räumlich weniger konzentriert. Entsprechend müssen häufiger weite Strecken zurückgelegt werden, um grundlegende infrastrukturelle Einrichtungen zu erreichen. Entsprechend hoch ist der private Pkw-Besitz in ländlichen Regionen – dieser liegt mit 90 Prozent der Haushalte deutlich über dem Bundesdurchschnitt. Jedoch sind im Ländlichen Raum mit der Planung von passgenauen Mobilitätskonzepte spezifische Herausforderungen verbunden. Fehlendes Budget, Personalmangel und fehlende digitale Infrastrukturen erschweren u.a. die Organisation, Zusammenarbeit und den Erfahrungsaustausch mit relevanten Akteuren. Vor diesem Hintergrund haben die Ministerien für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus, für Verkehr sowie für Ernährung, Ländlichen Raum und Verbraucherschutz Baden-Württemberg einen gemeinsamen Ideenwettbewerb für kooperative Mobilitätskonzepte im Ländlichen Raum initiiert. Das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO hat die insgesamt sechs geförderten Pilotprojekte wissenschaftlich begleitet. Die gewonnenen Erkenntnisse stellt das Fraunhofer IAO für andere Kommunen in einem Handlungsleitfaden zur Verfügung.
Kooperationen über Gemeindegrenzen hinweg als Schlüssel zum Erfolg
Der Ländliche Raum mit seinen oftmals herausfordernden Rahmenbedingungen erfordert passgenaue Mobilitätskonzepte, die sich dadurch auszeichnen, dass sie langfristig die Mobilitätsbedürfnisse der nachfrageschwachen Regionen befriedigen und gleichzeitig die Lebensqualität durch eine Verbesserung der Erreichbarkeitsverhältnisse vor Ort erhöhen. Eine wichtige Rolle dabei spielen die Entwicklung und die praktische Erprobung innovativer und integrierter Lösungen solcher Konzepte. Diese müssen sich an den Bedürfnissen der Nutzerinnen und Nutzer orientieren, die vorhandenen Verkehrsangebote sinnvoll verbinden und wo erforderlich ergänzen. Gerade im Ländlichen Raum können Mobilitätsangebote dabei oftmals über Gemeinde- oder Kreisgrenzen hinausgehen und zu Herausforderungen führen, die die Planung und Umsetzung des jeweiligen Angebots verlangsamen. Umso wichtiger ist es, durch eine enge Kooperation und den direkten Austausch aller Akteure höhere Planungssicherheit zu schaffen. Das kann durch die Verknüpfung unterschiedlicher Organisationsformen und mithilfe einer interkommunalen Zusammenarbeit erreicht werden. Daher zeichnen sich alle im Leitfaden beschriebenen Konzepte durch neue Ansätze der Kooperation sowie die Beteiligung von Bürgerinnen und Bürgern aus. »Es gibt nicht die eine perfekte Lösung«, resultiert Anne Spitzley, Mitautorin des Handlungsleitfadens und Forscherin am Fraunhofer IAO. »Jede Gemeinde hat andere Bedürfnisse. Daher sind stabile und vertrauensvolle Partnerschaften und die Beteiligung regionaler Partner entscheidend für den erfolgreichen Aufbau eines kooperativen Mobilitätsangebots.«
Von Carsharing bis Älterenfahrdienst – Mobilitätsangebote müssen Mehrwert bieten
Die sechs geförderten Pilotprojekte in Künzelsau, Pfalzgrafenweiler, Sigmaringen, Renningen, Oberreichenbach und Oftersheim drehten sich im Wesentlichen um die Themen Carsharing, Mobilitätsabo, Elektromobilität, Ladeinfrastruktur, Bürgerbeteiligung, Lastenrad, Zusammenrücken von Ehrenamt und Verwaltung, Mobilitätsstationen, On-Demand-Verkehr, Älterenfahrdienst und Vereinsanbindung. Um eine Förderung zu erhalten, mussten sich mindestens drei Partner aus den Bereichen Mobilitätsanbieter, Wirtschaft und kommunaler Akteur zu einem Konsortium zusammenschließen. Die Ergebnisse der Projekte zeigen: Die Kooperation mit den Partnern vor Ort erhöht Transparenz und Vertrauen und steigert den Bekanntheitsgrad der Mobilitätskonzepte. Die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger ist notwendig, um die Bedarfe der Gesellschaft zu erkennen, die Mobilitätsangebote darauf auszulegen und einen Mehrwert zu generieren.