Mitarbeitende mit Behinderung für Auslieferungen mit E-Lasten-Bikes einzusetzen, verspricht neue Arbeitsmöglichkeiten auch außerhalb des unmittelbaren Betreuungsbereichs von Werkstätten (WfbM) und Inklusionsunternehmen. Und: der persönliche Kontakt mit dem Kunden fördert die erlebte Wertschätzung, da die Mitarbeitenden mit Behinderung als selbstständig handelndes Individuum und nicht als betreute Person wahrgenommen werden. Vor diesem Hintergrund hat das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO als wissenschaftlicher Partner im Projekt »InkluServ« gemeinsam mit der WEK Werkstätten Esslingen-Kirchheim ein digitales Assistenzsystem entwickelt, das es schwerbehinderten Mitarbeitenden ermöglicht, selbstständig Auslieferungsfahrten für einen inklusiven Supermarkt und das Café Morlock in Plochingen zu übernehmen.
App unterstützt mit individuell angepasster Tourenplanung und Navigation
»Das Thema Sicherheit war für uns besonders wichtig«, betont David Kremer, Projektleiter am Fraunhofer IAO, und ergänzt: »Für die Auslieferungen haben wir sowohl mit den WEK Werkstätten Esslingen-Kirchheim eine umfangreiche Gefährdungsbeurteilung durchgeführt als auch mit dem Software-Partner GTS Systems and Consulting einen speziellen Belastungsindex entwickelt, um Steigungen sowie belastende Verkehrssituationen für die Fahrenden zu vermeiden und Liefertouren entsprechend der individuellen Leistungsfähigkeit der Fahrenden zu gestalten.« Die App des Assistenzsystems unterstützt die Fahrenden nicht nur mit der Navigation im Straßenverkehr: Die App strukturiert den gesamten Auslieferungsprozess, visualisiert den Auslieferungsfortschritt und enthält ein Hilfemenü, das z. B. die Höhenverstellung des Sattels oder das Aufpumpen eines Reifens illustriert. Die Sicherheitsfunktionen umfassen auch die Option für die Fahrenden, bei Bedarf sichere Orte anzufahren. Dazu kooperiert das Fraunhofer IAO mit dem Kelly e.V., dessen teilnehmende Geschäfte in Plochingen auch von den Fahrenden angesteuert werden können.
Assistenzsystem unterstützt die Zusammenarbeit mit dem Kunden
Im Fokus des Projekts stand die Frage, wie die Arbeit mit Kunden für Menschen mit Behinderung gestaltet werden sollte und wie die besonderen Anforderungen dieser Zielgruppe unterstützt werden können. In der Interaktion mit dem Kunden helfen vorlesbare Textbausteine den Fahrenden bei Unsicherheiten in der Kundenkommunikation, per Videocall können sich die Auslieferungsfahrenden zudem in komplexen Situationen mit ihren Disponenten beratschlagen. Die Briefings zwischen Disponenten und Fahrenden vor und nach den Touren ermöglichen es, Hinweise zu den Gegebenheiten der Kunden in die Tourenplanung aufzunehmen und für zukünftige Touren zu nutzen. Um alle Beteiligten auf ihre neuen Aufgaben vorzubereiten, hat das Fraunhofer IAO im institutseigenen ServLab gemeinsam mit einem Unternehmenstheater verschiedene Kundeninteraktionen mit den ausliefernden Mitarbeitenden durchgespielt. »Die Gruppe war sehr spielfreudig und niemand hat sich gescheut, auch in schwierige Situationen zu gehen« freut sich Sibylle Hermann. Ein besonderer Mehrwert war für Hermann, dass die Menschen mit Behinderung in dem Workshop die Interaktion mit den Kunden selbst optimieren und ihre Stärken in der authentischen Kommunikation ausspielen konnten.
Zum Abschluss des Projekts InkluServ wurden am Tag der offenen Tür der WEK Werkstätten in Plochingen die Auslieferungsfahrten mit dem Lasten-E-Bike demonstriert. »Wir hoffen das Projekt macht Schule und kann als Musterbeispiel veranschaulichen, wie digitale Assistenzsysteme neue Tätigkeiten für Menschen mit Behinderung schaffen können« resümiert David Kremer. Interessierte Werkstätten für Menschen mit Behinderung oder Logistikdienstleister, die Teilhabe ermöglichen möchten, können sich bei Interesse gern beim Projektteam melden.