Die Entwicklung von Produkten erfordert heute das Know-how unterschiedlicher Disziplinen, der Entstehungsprozess in Teamarbeit wird entsprechend immer komplexer. Wenn Fachleute aus Bereichen wie Design, Ingenieurswesen und IT-Entwicklung gemeinsam an Modellen von Produkten, Gebäuden oder auch Dienstleistungen arbeiten, sind visuelle Schnittstellen hilfreich, die eine gemeinsame Betrachtung des Objekts bzw. des Prototyps aus unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen. Bereits heute unterstützen Technologien wie Mixed Reality dabei, ein gemeinsames, fachübergreifendes Verständnis des jeweiligen Entwicklungsgegenstands zu erlangen und schaffen damit eine Grundlage für eine effiziente Entscheidungsfindung innerhalb der unterschiedlichen Disziplinen.
Mit der neu entwickelten »CoLEDWall« des Fraunhofer-Instituts für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO und eines Technologie-Start-ups hat die Zusammenarbeit im virtuellen Raum eine neue Ära erreicht: die Echtzeit-Ansicht desselben virtuellen 3D-Objekts aus der jeweils individuellen Perspektive, ohne dass die Teilnehmenden eine VR-Brille benötigen, die sie von den anderen Personen im Raum isolieren würde. »In unserem Immersive Participation Lab, auch Cave genannt, haben wir bereits an der VR-Technik und den Softwareschnittstellen zur nahtlosen Datenintegration und Methodiken geforscht, um kollaborative Entscheidungsfindung durch individuelle VR-Sessions zu unterstützen«, erklärt Dr. Matthias Bues vom Fraunhofer IAO. »Aber bisher haben in der CAVE alle User das Objekt aus derselben Ansicht betrachtet. Das ändert sich jetzt mit der CoLEDWall.« Die Perspektive jedes Users wird über ein hochpräzises Trackingsystem einzeln erfasst. Somit können sich die Personen unabhängig voneinander im Raum um das virtuelle Objekt bewegen, in Echtzeit Änderungen vornehmen und auf Details zeigen oder gemeinsam bearbeiten.
Interaktion in realer Welt bei gleichzeitiger Zusammenarbeit am virtuellen Objekt
Echtzeitvisualisierung und Trackingsystem erlauben es, dass die Nutzenden in die virtuelle Umgebung eintauchen können, was als »Immersion« bezeichnet wird. Doch da die kleinen, leichten Brillen nur die auf die LED-Wall übereinander dargestellten Bilder wieder für die einzelnen Betrachtenden sortieren, bleibt der reale Raum um die Personen herum erhalten. Damit können diese die Gestik und Mimik der anderen sehen und direkt miteinander interagieren. Dies erleichtert sowohl die Abstimmung und Verständigung innerhalb der verschiedenen Fachbereiche als auch das gemeinsame Arbeiten an einem durchgängigen Modell, da auch verschiedene Entwicklungsstufen abbildbar sind. Beides sind wesentliche Forschungsaspekte des neuen Leitbilds »Advanced Systems Engineering (ASE)«, das auch Gegenstand eines großen, fachübergreifenden Forschungsprojekts am Fraunhofer IAO ist. ASE eröffnet neue Perspektiven sowohl auf die unternehmensinterne Zusammenarbeit als auch auf die Kollaboration innerhalb von Wertschöpfungsnetzwerken. Um auch weitere Personen über höhere physische Distanzen hinweg in die virtuelle Umgebung einbinden zu können, hat das Forschungsteam des Fraunhofer IAO im Projekt CoAvatar gemeinsam mit den Max-Planck-Instituten für biologische Kybernetik und für Intelligente Systeme wesentliche Verbesserungen der Kommunikation im virtuellen Raum und zur 3D-Darstellung der Nutzenden in Form von personalisierbaren Avataren entwickelt. Die Vorteile verteilter V/AR-Anwendungen liegen zu Pandemiezeiten auf der Hand: Reisekosten und -zeiten können reduziert, Reaktionszeiten und Entwicklungszyklen beschleunigt und Fehlerquoten verringert werden. Vor allem für die interdisziplinäre Planung von komplexen Objekten bietet die CoLEDWall ein großes Potenzial, da Informationen über die Visualisierung von 3D-Modellen in Echtzeit immersiv ausgetauscht werden können.
CoLEDWall auf individuelle Bedarfe anpassbar
Die LED-Wall besteht aus einzelnen zusammengesetzten LED-Modulen und kann somit in der Größe an die individuellen Bedarfe von Unternehmen angepasst werden. Die LED-Pixel sind so kontrast- und lichtstark, dass die Nutzung bei hellem Tageslicht kein Problem darstellt und die Wall somit an jedem beliebigen Ort aufgebaut werden kann. Dabei ist auch der Raumbedarf hinter der LED-Wand weitaus geringer als bei herkömmlichen Systemen, die auf Rückprojektion basieren. Die vom Fraunhofer IAO entwickelte Software »CoVR« ist kompatibel zu gängigen 3D-Modellen und kann mit vorhandenen CAD-Daten genutzt werden. Auch andere, marktgängige Visualisierungs- und Digital Mockup-Software wird auf der CoLEDWall nutzbar sein. Das Expertenteam des Fraunhofer IAO unterstützt nicht nur bei der Installation der Hardware, sondern bieten auch ihre Beratung, um den Aufbau und die IT-Integration an den unternehmensspezifischen Bedarf auszurichten. »Das Interesse der Firmen, denen wir die CoLEDWall bisher gezeigt haben, ist riesig«, freut sich Bues. »Die Anwendungsbereiche reichen von verteilten Planungs- oder Design-Besprechungen, Trainings über Assistenzsysteme bis hin zur Kundenkommunikation, etwa für die virtuelle Abnahme.«
Um im Sinne der durchgängigen Planung auch weitere Visual Technologies einzubinden, hat das Forschungsteam die nahtlose Anbindung an eine weitere Eigenentwicklung sichergestellt: den »ProTable«. Über Projektoren ermöglicht dieser Aufbau, den Desktop mit den gängigen digitalen Dokumenten auf eine Tischoberfläche zu bringen und dort ebenfalls gemeinsam und interaktiv zu arbeiten.