Schlicht überzeugend

Genial einfach

Die Bachmann Group aus Stuttgart hat gemeinsam mit dem Zentrum für Frugale Produkte und Produktionssysteme von Fraunhofer ein Gerät zur mobilen Stromversorgung im Büro entwickelt. MOV:E setzte sich binnen kurzer Zeit am Markt durch, weil es ein ehernes Designgesetz befolgt: Form follows function.

Kevin Kropp steht selbstbewusst da und blickt rechts aus dem Bild heraus. Sein Arm liegt um die MOV:E herum, die auf einer Ablage steht.
© Ludmilla Parsyak
Kundenmagnet: MOV:E ist bei Käuferinnen und Käufern im In- und Ausland beliebt, sagt Kevin Kropp, Produkt- und Application Manager für »Independent Systems« bei der Bachmann Group.

Manchmal sind es kleine Details, die große Veränderungen ankündigen. Der Umbruch in der Arbeitswelt etwa kam auf Rollen daher. Genauer gesagt: auf kleinen Gummirollen unter Bürotischen. »Das war so um 2015 herum«, sagt Günter Schneider, 58. Der gelernte Elektromeister leitet das Team Innovation Markets bei der Bachmann Group. »Plötzlich wünschten sich immer mehr Kunden ein Mobiliar, das sich individuell arrangieren lässt.« Konzentrierte Einzelarbeit hier, Kreativ-Meeting da, Konferenz dort. Und morgen vielleicht genau andersherum: Das »Büro der Zukunft«, über das Fachkreise schon so viel diskutiert hatten, wurde Wirklichkeit.

Nun ist die Bachmann Group zwar kein klassischer Interior Designer. Der Mittelständler aus Stuttgart stattet Arbeitswelten aber mit maßgeschneiderter Elektrotechnik aus, oft in Kooperation mit großen Büromöbelherstellern. Von Steckerleiste bis Netzwerktechnik: Bachmann liefert die Lebensadern der Office-Welt. Und wenn die im Umbruch ist, begleitet Bachmann diesen Wandel mit innovativer Tatkraft. »Neue Formen des Arbeitens verlangen stets nach neuen technischen Infrastrukturlösungen«, sagt Schneider. Das war Ende der 1970er so, als der Computer in deutsche Büros einzog. Das war um die Jahrtausendwende so, als das Internet Einzug hielt. Und das würde auch so sein, wenn das klassische Büro zur Begegnungsstätte für im Homeoffice Tätige wird. Zum flexiblen Workspace auf Rollen mit Kreativlounge und Desk-Sharing. »Die Frage war damals nur: Nach welchen Lösungen wird der Markt verlangen?«, so Schneider.

 

 

Neue Formen des Arbeitens verlangen stets nach neuen technischen Infrastrukturlösungen.«

Günter Schneider, Leiter Innovation Markets bei der Bachmann Group
Günter Schnieder lehnt locker an einem Tisch und blickt lächelnd in die Kamera. Neben ihm auf dem Tisch steht die MOV:E.
© Ludmilla Parsyak

Zuverlässige Stromversorgung in modernen Büros

Heute, rund neun Jahre nachdem die Büromöbel das Fahren lernten, hält Schneider eine solche Lösung in der Hand. Es ist eine schwarze Röhre im Format eines tragbaren Lautsprechers, Gewicht: rund drei Kilogramm. MOV:E heißt das Gerät, mit dem man Laptops, Handys, Bildschirme oder digitale Whiteboards mit Strom versorgen kann, auch wenn eine Steckdose weit entfernt ist. Etwa, weil das Meeting bei gutem Wetter auf die Terrasse verlegt wurde. Weil das Whiteboard ausgerechnet an einer Stelle stehen soll, wo just keine Steckdose ist. Oder, weil jemand seine Smartwatch oder seine Earpods gerne während des Meetings aufladen möchte. Egal, wo man sich in den Weiten der neuen Bürowelt aufhält: Die kleine schwarze Trommel liefert zuverlässig Energie. Sie kann mehrere mobile Office IT-Endgeräte stundenlang mit Energie versorgen.

»In vielen Büros bieten Bodentanks mit Netzanschlüssen zwar eine gewisse Beweglichkeit«, sagt Schneider. »Aber oft genug muss man dann doch wieder ein Verlängerungskabel anschließen.« MOV:E hingegen schafft kabellose Freiheit. Man könnte auch sagen: Das flexible Büro hält sein Versprechen erst vollends, seit die kleine Trommel aus dem Hause Bachmann Bewegungsfreiheit auf den letzten Metern garantiert. Hinzu kommt: Wer künftig ein Büro plant, kann auf viele Bodentanks verzichten – und somit auch auf viele Meter Kabel, die in Kanälen unter dem Fußboden verlegt werden müssen. »Hier kann man eine Menge Geld sparen«, sagt Schneider. Im März 2022 hat Bachmann MOV:E auf den Markt gebracht. Wenig später entwickelte sich das Produkt zum Kundenmagneten.

Was bedeutet »frugal«?

Der Begriff »frugal« (einfach, bescheiden) ist auf das lateinische Wort »frugalis« zurückzuführen. Frugale Innovationen sind daher sinngemäß »einfache« Innovationen. Sie folgen dem Prinzip der Ressourcen-Minimierung. Zeit, Kapital und Materialeinsatz werden über die gesamte Wertschöpfungskette hinweg gering gehalten, wobei der Fokus auf den Kundenbedürnissen liegt. Auf diese Weise kann ein relativ günstiger Marktpreis realisiert werden.

Drittes Erfolgsprodukt

Der Erfolg kam nicht ganz überraschend: Einige Jahre vor MOV:E hatte Bachmann bereits zwei Produkte auf den Markt gebracht, die der neuen Beweglichkeit der Bürowelt Rechnung tragen. Da ist zum einen der »Independent Monitor«, ein höhenverstellbarer 58-Zoll-Bildschirm, der flexibel dort platziert werden kann, wo gerade eine Präsentation oder ein Film gezeigt werden soll: im Meetingraum etwa, in der Lobby oder am Messestand. Das andere Produkt ist der »Independent Workplace«, ein kabelloser Büroarbeitsplatz, der die Freiheit gibt, überall zu arbeiten, auch wenn es keinen direkten Zugang zum Stromnetz gibt. Ein leistungsfähiger Akku liefert Rechner und Monitor einen Arbeitstag lang zuverlässig Energie. »Mit dem variabel einsetzbaren Energiespeicher MOV:E haben wir nun diese Serie um ein drittes Produkt erweitert«, sagt Kevin Kropp, der als Produkt- und Application Manager für die »Independent Systems« bei Bachmann verantwortlich ist.

»Die Idee für eine mobile Stromversorgung im Büro lag schon etwas länger in der Schublade«, erzählt Günter Schneider. »Wir beobachten ja ständig Marktentwicklungen und leiten daraus Ideen für neue Produkte und Dienstleistungen ab.« 2019, Schneider hatte gerade die Leitung des Teams Innovation Markets übernommen, beschloss das »Innoboard«, ein firmeninternes Gremium aus Geschäftsführung und weiteren Führungskräften, die Pläne für das Produkt weiter zu verfolgen. Und so investierte man in die Produktion eines ersten »Minimum Viable Product« (MVP), eines Vorläufers der heutigen MOV:E.

»Das Gerät funktionierte zwar«, sagt Schneider. »Aber zahlreiche Fragen – von Technik über Funktionen bis Design – waren offen.« Ein Produkt lasse sich in zahllosen Varianten denken, so Schneider. »Was uns fehlte, war die Antwort auf die Frage, wie unser Produkt genau ausgestaltet sein muss, um den Wünschen der Zielgruppe zu entsprechen. Fraglich war auch noch, welche Zielgruppe überhaupt in den Blick genommen werden sollte.«

 

 

Liza Wohlfart steht lässig da, mit den Daumen in den Hosentaschen und blickt freundlich in die Kamera.
© Aristidis Schnelzer

Natürlich ist eine hohe Qualität gefragt. Aber muss dies gleichbedeutend sein mit hoher Komplexität?«

Liza Wohlfart, Leiterin Zentrum für Frugale Produkte und Produktionssysteme (ZFP), Fraunhofer IAO

Es geht um Einfachheit, gepaart mit Qualität

An diesem Punkt kam das Zentrum für Frugale Produkte und Produktionssysteme (ZFP) der Fraunhofer-Institute IAO und IPA ins Spiel. Das Zentrum ist Teil des Stuttgarter Innovations- und Technologiecampus S-TEC, eines Netzwerks mit Partnern aus Wirtschaft und Forschung, das den Mittelstand in Baden-Württemberg bei der Umsetzung von Innovationen unterstützt. Das ZFP steht für einen Paradigmenwechsel in der Produktentwicklung hin zu einfachen Lösungen. »Wir sprechen hier von ›frugaler Innovation‹«, sagt Liza Wohlfart vom Fraunhofer IAO, die das ZFP gemeinsam mit ihrem Kollegen Kevin Klöpfer vom Fraunhofer IPA leitet und das Projekt begleitet hat. Der Begriff »frugal«, der sich vom lateinischen Wort »frugalis« ableitet, bedeutet einfach bzw. bescheiden. Oft werden Geräte, so Wohlfart, mit viel Technik und unzähligen Funktionen ausgestattet, die im Alltag aber kaum Verwendung finden. Digitalkameras sind hier ein gutes Beispiel. »Da gibt es unzählige Einstellungsmöglichkeiten, die aber fast niemand kennt – und niemand nutzt«, so Wohlfart. »Die Menschen wollen einfach gute Bilder machen.« Und so nimmt die Bedeutung von Geräten zu, die auf Reduktion setzen. Kein Schnickschnack, aber auch kein Billigprodukt.

Auch Bachmann war es wichtig, eine Lösung zu entwickeln, die durch Einfachheit überzeugt. Was im gemeinsamen Projekt folgte, beschreibt Wohlfart als einen Prozess der systematischen Reduktion auf das Wesentliche. Welche Leistung sollte das Gerät bringen? Wie viele und welche Anschlüsse sollte es haben? Ist eine Wandhalterung sinnvoll? Und eine Hülle als Schutz vor Verschmutzung? In wie vielen Farbvarianten sollte Bachmann das Produkt anbieten? »Wir haben die offenen Punkte gesammelt, diskutiert und eine umfassende Befragung unter potenziellen Handelsunternehmen, Kundinnen und Kunden sowie Nutzenden in zwei Runden gestartet«, erzählt Wohlfart. »Zunächst ging es darum zu verstehen, wie in offenen Büroumgebungen gearbeitet wird und wie dort die Beschaffung neuer Geräte erfolgt. Im Anschluss wurden Details anhand verschiedener Prototypen geklärt.« Wichtig dabei war, die Perspektiven der verschiedenen Beteiligten zu erfassen. Was empfehlen die Händler, die das Gerät später vertreiben? Worauf legen die Unternehmen Wert, die das Gerät in ihrer Büroumgebung einsetzen wollen? Und was wünschen sich die Mitarbeitenden, die das Gerät im Arbeitsalltag unterstützt?

 

Wir konnten zeigen, dass sich die Kundinnen und Kunden, vor allem aber auch die Nutzenden tatsächlich eine frugale Lösung wünschen, ein hochwertiges und zugleich simples Gerät.«

Liza Wohlfart, Leiterin Zentrum für Frugale Produkte und Produktionssysteme (ZFP), Fraunhofer IAO
© Ludmilla Parsyak
Kreativschmiede: Im Next:Lab des Fraunhofer IAO entwickeln Forschende und Partner aus der Wirtschaft mit spielerischen Methoden neue Ideen für Produkte und Dienstleistungen.

»Wir konnten zeigen, dass sich die Kundinnen und Kunden, vor allem aber auch die Nutzenden, tatsächlich eine frugale Lösung wünschen, ein hochwertiges und zugleich simples Gerät«, sagt Wohlfart heute. Keine Kopplung mit irgendwelchen Netzwerken, keine weiteren Funktionen wie integrierte Lautsprecher oder Datenträger, sondern einfach nur eine Box, die die unterschiedlichsten Geräte mobil mit Strom versorgen kann. Darüber hinaus zeigte das Projekt, welche Zielgruppen Bachmann in den Fokus nehmen sollte und worauf diese bei der Gestaltung und Ausstattung besonderen Wert legen.

»Die Befragungen, die das Fraunhofer IAO durchgeführt hat, zeichneten sich unter anderem durch ihre Wissenschaftlichkeit aus«, sagt Jeannette Wild, Innovation Manager bei Bachmann. Der neutrale Blick von Wohlfart und ihrem Team sei die Basis für die größtmögliche Objektivität und Transparenz in der Entwicklung des neuen Produkts gewesen. »Die ergebnisoffene Herangehensweise war an dieser Stelle enorm wichtig.«

Frugale Lösungen sind zunehmend gefragt

Es gibt mehrere Gründe, warum frugale Lösungen so beliebt sind, sagt Wohlfart. Da ist zum einen der Wunsch vieler Menschen, nachhaltiger zu leben. »Einfache Geräte sind mit weniger Technik ausgestattet, binden also weniger Rohstoffe und sind weniger wartungs- und reparaturbedürftig.« Auch der demografische Wandel treibe den Trend voran: »Gerade ältere Menschen wünschen sich in der Regel schlichte Lösungen, also Geräte mit einer überschaubaren Anzahl von Schaltern und Funktionen.« In Zeiten der digitalen Vernetzung aller Geräte, kommen frugale Innovationen betont reduziert daher. Und sind gerade deshalb so attraktiv. Wer will sich schon durch lange Betriebsanleitungen kämpfen?

Auch im globalen Wettbewerb spielen frugale Lösungen eine zunehmend wichtige Rolle. Vor allem rasant wachsende Volkswirtschaften wie China, Indien oder Brasilien sind auf Produkte angewiesen, die auf die Gegebenheiten vor Ort zugeschnitten sind und dem Perfektionismus im Engineering weitere Prioritäten an die Seite stellen. »Natürlich ist eine hohe Qualität gefragt. Aber muss dies gleichbedeutend sein mit hoher Komplexität? Viele wünschen sich stattdessen ein Plus an Nutzungsfreundlichkeit. Und auch der Preis spielt eine Rolle«, sagt Wohlfart. Siemens Healthineers etwa hat das Thema »Access to Care«, also die Sicherstellung einer hochwertigen und zugleich erschwinglichen Gesundheitsversorgung für alle, als strategische Priorität ausgelobt. Daimler Truck hat mit »BharatBenz« eine Nutzfahrzeugmarke speziell für den indischen Markt gegründet, der Landmaschinenhersteller Claas aus Nordrhein-Westfalen hat mit dem »Crop Tiger« eine Erntemaschine speziell für Asien auf den Markt gebracht. Manche Lösungen, die für Schwellenländer entworfen wurden, haben später sogar im heimischen Markt großen Erfolg, zum Beispiel als Zweitgerät, das Hilfe bei schnellen, einfachen Einsätzen bietet. Wie wichtig das Thema aktuell ist, hat auch das Land Baden-Württemberg erkannt. Das Ministerium für Wirtschaft, Arbeit und Tourismus des Landes fördert das ZFP seit 2018.

 

 

Die ergebnisoffene Herangehensweise war an dieser Stelle enorm wichtig.«

Jeannette Wild, Innovation Manager bei der Bachmann Group

Hohe internationale Nachfrage

Im Falle der MOV:E sah die Reduktion auf das Wesentliche anfangs so aus: 2022 kam das Gerät in zwei Varianten auf den Markt. Die Variante für den deutschen Markt verfügte über eine normale Steckdose sowie jeweils 2 USB-A- und USB-C-Anschlüsse. Die Variante für den internationalen Markt war mit jeweils 4 USB-A- und USB-C-Anschlüssen ausgestattet. »MOV:E weckte sowohl bei deutschen als auch bei internationalen Kundinnen und Kunden Interesse«, sagt Produkt- und Application Manager Kevin Kropp. Ein Erfolg, den man ausbauen will: Derzeit entwickelt Bachmann zwei weitere landestypische Varianten – für Frankreich und Großbritannien.

Die internationale Nachfrage bestätigt Bachmann und das Fraunhofer IAO einmal mehr in ihrer Annahme, dass die Reduktion aufs Wesentliche viele Freunde hat – auf der ganzen Welt. »MOV:E bietet genau das, was Kundinnen und Kunden sich wünschen. Nicht mehr – und nicht weniger«, sagt Kevin Kropp. »Eben diese perfekte Fokussierung ist es, die den Charme der MOV:E ausmacht.«

 

 

© Ludmilla Parsyak

Eben diese perfekte Fokussierung ist es, die den Charme der MOV:E ausmacht.«

Kevin Kropp, Produkt- und Application Manager für »Independent Systems« bei der Bachmann Group

Weitere Informationen

Beratungszentrum

Zentrum für Frugale Produkte und Produktionssysteme (ZFP)

Das Zentrum für Frugale Produkte und Produktionssysteme (ZFP) unterstützt Unternehmen bei allen Aspekten rund um die Erschließung frugaler Marktchancen, von strategischen Überlegungen über Methodentraining bis hin zur konkreten Arbeit an neuen Produkten, Dienstleistungen und Geschäftsmodellen. Neben der Begleitung von Projekten bietet das Team des ZFP auch Seminare, Impulsvorträge und interaktive Workshops an den Instituten und bei Unternehmen vor Ort an.

 

Aus dem Magazin »FORWARD

Dieses Feature ist Teil des Magazins 1/24 des Fraunhofer IAO in Kooperation mit dem IAT der Universität Stuttgart.