Auf der Suche nach dem Perfect Match

Arbeitsmarkt

Illustration im Bleistift-Stil. Zwei Hände mit je einem Puzzleteil in der Hand, die zueinander passen.
© iStock – budi priyanto

Mit der Digitalisierung steigt der Bedarf an Lernangeboten rasant und der Innovationsdruck macht auch vor der Weiterbildungsbranche keinen Halt. Neue Ideen sind gefragt, etwa für den Einsatz von KI. Diese entwickelt  und erprobt das Forschungs- und Innovationszentrum Kognitive Dienstleistungssysteme KODIS seit 2021 in dem Verbundprojekt »KIRA«  gemeinsam mit Forschungs- und Praxispartnern. Herausgekommen ist ein Ansatz, der spannende Impulse setzen könnte.

Manchmal hilft ein Gedankenspiel, um das starre Korsett alter Überzeugungen etwas zu lockern und Raum für Neues zu schaffen. Bereit? Also: Was wäre, wenn der klassische Lebenslauf bei der Jobsuche unwichtig wäre? Wenn es weniger auf Zeugnisse und Abschlüsse ankäme, sondern andere Fähigkeiten die Basis bilden könnten, auf der Arbeitgeber und Interessenten zueinanderfinden? Klingt das zu abstrakt? Ein zweiter Blick lohnt sich. Denn im Kern verfolgt KIRA genau diesen Ansatz – und das könnte dazu beitragen, neue Lösungen für das Problem Fachkräftemangel zu finden.

Überfachliche Kompetenzen

Gehen wir einen Schritt zurück. Was ist KIRA? Das Akronym steht für »KI-gestütztes Matching individueller und arbeitsmarktbezogener Anforderungen für die berufliche Weiterbildung«. So heißt ein Verbundprojekt, welches das KODIS des Fraunhofer IAO mit Partnern aus der Region Heilbronn-Franken, darunter die Hochschule Heibronn und die Duale Hochschule Baden-Württemberg, sowie mit der WBS Training AG gestartet hat. Ziel des Projekts ist, herauszufinden, wie sich mithilfe KI-basierter Algorithmen neue Matchings finden lassen zwischen Arbeitgebern und Arbeitssuchenden oder Menschen, die sich beruflich umorientieren wollen. Die Frage ist: Wie lassen sich der Such- und der Möglichkeitsraum für beide Seiten erweitern, um auch dem Fachkräftemangel zu begegnen?

Keine Frage, es braucht neue Ideen, um die aktuellen Herausforderungen in der Arbeitswelt zu meistern. Diese befindet sich in einem gewaltigen Umbruch: Die Digitalisierung verändert Berufsbilder und -biografien in nie gekanntem Ausmaß, fast jeder zweite Arbeitsplatz wird von Automatisierung beeinflusst werden.

Dieser Entwicklung möchte auch Praxispartnerin WBS Training Rechnung tragen. Mit rund 3000 Bildungs-, Schulungs- und Fortbildungsangeboten sowie mehr als 30 000 Teilnehmenden pro Jahr ist die Firma mit Hauptsitz in Berlin eine der größten Anbieterinnen für Weiterbildung in Deutschland. Ihr Anliegen ist, den Menschen den Weg zurück in die Arbeitswelt zu ebnen und sie über Qualifizierungen fit zu machen für den neuen Job. Mit dem Wunsch, neue Orientierungsangebote bei der Weiterbildungswahl zu schaffen und Beratungsprozesse datenbasiert zu unterstützen, lag die Überlegung nahe, sich dafür die neuen Technologien selbst zunutze zu machen.

Für eine sinnvolle KI-Anwendung braucht es aber Daten. Da die WBS Training aus Datenschutzgründen nicht einfach ihre Kundeninformationen bereitstellen kann, stießen die Forschenden bei ihrer Suche auf eine Studie, in der zukunftsrelevante Kompetenzen untersucht und dargestellt wurden. Die dort identifizierten »Future Skills« griffen sie im Verbundprojekt KIRA auf und stellten sogenannte überfachliche Kompetenzen wie Eigeninitiative, Kundenorientierung oder Flexibilität in den Fokus ihrer Überlegungen. »Wir wollten uns bewusst von der üblichen Herangehensweise lösen, mit KI nur Lebensläufe auszulesen, um Jobs zu empfehlen«, sagt Carolin Stolpe, Data Scientist bei WBS Training. »Stattdessen fragten wir uns, ob sich mit der Abfrage der Future Skills vielleicht auch versteckte Potenziale der Interessenten und Interessentinnen freilegen ließen.« Diese spielen schon heute eine große Rolle, lassen sich aus formalen Abschlüssen und Lebensläufen aber kaum ablesen, und in Bewerbungsgesprächen werden sie meist nur am Rande gestreift.

© Aristidis Schnelzer

 

Wir wollten uns bewusst von der üblichen Herangehensweise lösen, mit KI nur Lebensläufe auszulesen, um Jobs zu empfehlen.«

Carolin Stolpe, Data Scientist bei WBS Training

Individuelle Berufsvorschläge

Um diese überfachlichen Kompetenzen greifbar zu machen und eine Datengrundlage für die KI zu generieren, entwickelten die Forschenden im KIRA-Projektteam den sogenannten Situations-Komfort-Test. »Der Test konfrontiert Teilnehmende mit Szenen aus dem beruflichen oder privaten Alltag, und sie geben an, wie sie sich in der jeweiligen Situation fühlen oder verhalten würden«, sagt Laura Ködel, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team »Cognitive Distribution Systems« am KODIS. Eine Frage lautet etwa: »Für eine Veranstaltung sollst du das Servicepersonal am Veranstaltungstag anhand seiner Fähigkeiten einsetzen und koordinieren. Wie wohl fühlst du dich mit dieser Aufgabe?« Auf Basis dieser Selbsteinschätzung wird ein individuelles »Future-Skill-Profil« erstellt. Die Resonanz ist positiv: Bisher kamen rund 1800 Datensätze zusammen.

Weitere Daten liefert die ESCO-Datenbank, ein europäischer Standard zur Klassifizierung von Fähigkeiten, Kompetenzen und Berufen. Rund 3000 Jobs sind darin mit bestimmten Skills verschlagwortet, rund 14 000 Skills mit Jobs verknüpft. »Für die dort hinterlegten Berufe haben wir ebenfalls Profile aus überfachlichen Kompetenzen erstellt«, erklärt Ködel. »Alle Daten wurden dann verarbeitet, vorbereitet, analysiert und durch einen Matching-Algorithmus miteinander abgeglichen, sodass sich am Ende auf Basis dieser überfachlichen Kompetenzen für jeden Nutzenden individuelle Kompetenzprofile und Berufsvorschläge erzeugen lassen.« Dieser Algorithmus wird kontinuierlich weiterentwickelt und mit neuen Daten befüllt, sodass die Berufsvorschläge immer besser passen.

 

 

 

Der Test konfrontiert Teilnehmende mit Szenen aus dem beruflichen oder privaten Alltag.«

Laura Ködel, Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team »Cognitive Distribution Systems« am Fraunhofer IAO

 

Portraitfoto von Laura Ködel. Sie blickt lächelnd in die Kamera.
© Martin Albermann

Die Ergebnisse des KIRA-Tests können dann im persönlichen Beratungsgespräch besprochen werden. »Dies kann dazu führen, dass sich Bewerberinnen und Bewerber nochmal anders mit ihren Kompetenzen auseinandersetzen und sich fragen: Könnte mir das denn gefallen? Das wäre auch spannend zu sehen«, sagt Stolpe.

Auch für Unternehmen wurde bereits ein eigener Situations-Komfort-Test entwickelt, mit dem sich ein Future-Skill-Profil der idealen Mitarbeitenden erstellen lässt, sodass das Matching zwischen denen, die einen Job suchen, und denen, die einen zu vergeben haben, um den Aspekt der überfachlichen Kompetenzen erweitert werden kann.

In den verbleibenden Monaten der Projektlaufzeit wird noch einiges mehr erforscht und entwickelt, zum Beispiel die Möglichkeit, Berufsvorschläge von den Interessentinnen und Interessenten bewerten zu lassen, um den Algorithmus zu verbessern. Die Forschenden sehen viel Potenzial, durch das Einbeziehen von überfachlichen Kompetenzen Reflektionsprozesse auf allen Seiten zu ermöglichen und somit den Anforderungen des sich wandelnden Arbeitsmarkts gerecht zu werden.

Weitere Informationen

Future Skills

Hier können Sie sich für den KIRA-Test registrieren und kostenlos testen, welche Kompetenzen zukünftig in welchen Jobprofilen gefragt sind.

 

Aus dem Magazin »FORWARD

Dieses Feature ist Teil des Magazins 1/24 des Fraunhofer IAO in Kooperation mit dem IAT der Universität Stuttgart.