Urbane Logistik
Wie könnte eine Zukunft aussehen, in der Pakete nicht länger bis zur Haustür und somit nachhaltiger geliefert werden? Konkrete Antworten auf diese Frage werden im Projekt »GreenPickUp« entwickelt.
Ein Abend auf der Couch, ein Fingertippen aufs Display – und schon ist der Pullover, die Smartwatch oder das Kinderbuch unterwegs. In der Regel dauert es einen, vielleicht zwei Tage, bis der Paketbote an der Tür klingelt. Und wer in einem Mehrfamilienhaus lebt, muss jetzt noch nicht mal die Wohnung verlassen: Der Paketbote sprintet die Treppe hoch, überreicht die Sendung – und macht atemlos auf dem Absatz kehrt: sein Wagen steht nämlich in zweiter Reihe und blockiert den Feierabendverkehr.
Szenen wie diese spielen sich täglich in Deutschland ab: Lieferwagen, die durch Wohngebiete irren, Fahrradwege zuparken und die Luft verschmutzen. Gesteuert von Lieferantinnen und Lieferanten, die unter Zeitdruck das Versprechen des Online-Handels einlösen müssen: dass nämlich alles immer verfügbar und in kurzer Zeit beim Empfänger ist. Es ist ein Versprechen, das zu einer wahren Paketflut geführt hat. 4,5 Milliarden Pakete werden jährlich in Deutschland verschickt. Macht 12 Millionen jeden Tag.
Vor allem die sogenannte Letzte Meile stellt eine Herausforderung für Paketdienstleister – aber auch für die Stadtgesellschaft als Ganzes – dar. Denn es ist die individuelle Zustellung zum Adressaten, die besonders viel CO2 erzeugt und den Verkehr – gerade in Städten – enorm belastet. So ist der Warenwirtschaftsverkehr zu Stoßzeiten für einen beträchtlichen Anteil am Gesamtverkehr verantwortlich. Zugleich sind fast alle Bewohnerinnen und Bewohner von Großstädten zu hohen Feinstaubwerten ausgesetzt.
Ein Weg, diese Probleme einzudämmen, wird von einem Projektkonsortium unter Führung des Fraunhofer IAO unter Beteiligung des IAT der Universität Stuttgart, dem InES der Universität Mannheim sowie dem Softwareunternehmen Exxeta erforscht und entwickelt: »GreenPickUp« ist eine Paketstation, angebracht an einem Lastenrad. Der Clou dabei ist: Die Station kann ihren Standort mehrfach täglich ändern – und steht im besten Fall immer genau da, wo sowieso gerade viele Menschen unterwegs sind.
Ein Vorteil von ›GreenPickUp‹ ist, dass der Fahrradanhänger, in dem die Pakete lagern, mobil ist. Nach ein paar Stunden wird er woanders aufgestellt – und verschwindet abends ganz aus dem Stadtbild. Im Unterschied zu einer klassischen Paketstation nimmt er also keinen Raum dauerhaft in Anspruch.«
Lars Mauch, Verkehrsingenieur im Team »Energy Innovation« des Fraunhofer IAO
Ein Konzept so einfach wie effizient: Der Pkw-Parkplatz in einer Wohnsiedlung dient der grünen Paketstation tagsüber als Standort – und wird abends wieder zu einem ganz normalen Stellplatz.
Hinter dem grünen Logistikkonzept steckt eine Plattform, die Daten, etwa von der Stadtverwaltung, von Logistikern oder von Verkehrsunternehmen, auswertet. Das können Informationen zur Bevölkerungsstruktur von Quartieren sein, zur Auslastung von Paketdienstleistern oder zur innerstädtischen Mobilität. Einzeln lässt sich nicht viel aus all diesen Informationen herauslesen. Zusammen ergeben sie aber ein Bild, das Zusammenhänge verdeutlicht und Muster erkennen lässt: Wann sind die Menschen eigentlich wo in ihrer Stadt unterwegs? Wann kehren sie heim? Wo gehen sie wann einkaufen – und wie lassen sich Wege am besten bündeln? Oder auch: Wie viel wird eigentlich wo bestellt und abgeholt? »Im Ergebnis helfen uns die Daten, die optimalen Standorte für die mobilen Paketstationen zu ermitteln«, sagt Rebecca Litauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team »Urban Data and Resilience« am Fraunhofer IAO.
Mit der datenbasierten Steuerung von Logistikprozessen hatten Rebecca Litauer, Lars Mauch und ihre Teams schon vor dem Projekt Erfahrungen gemacht. In diesem Fall aber war etwas neu: Die Förderung des Bundesumweltministeriums – im Rahmen des Wettbewerbs #mobilwandel2035 werden fünf Projekte mit insgesamt vier Millionen Euro unterstützt – erlaubte es den Forschenden diesmal, dem Projekt umfangreiche Akzeptanzstudien vorzuschalten. So lud das Team im Vorprojekt »Digital_Logistics@LHS« Stuttgarter Bürgerinnen und Bürger zu interaktiven Workshops ein. Hier wurde zunächst über Erwartungen an alternative Zustellmöglichkeiten diskutiert, im Anschluss fand eine Evaluation von Kundenwünschen statt. »Auf diese Weise konnten wir die Perspektive der Bürgerinnen und Bürger auf City-Logistik mit berücksichtigen«, sagt Lars Mauch. Die wohl wichtigste Erkenntnis: Zwar ist die Bestellung im Internet beliebt und für die Teilnehmenden nicht mehr wegzudenken, doch wären sie bereit, auf die Zustellung bis zur Haustür zu verzichten, wenn dies zum Umweltschutz beitrage. Die Akzeptanz der Service-Lösung im Vorfeld abzufragen, um diese möglichst nah an den Kundenwünschen zu orientieren, gehört zu den zentralen Ansprüchen des Projekts. »Wir wollen sicherstellen, dass sich das Konzept etablieren und verstetigen kann«, sagt Lars Mauch. Denn die Verstetigung von Ergebnissen aus Forschungsprojekten zur Innenstadtlogistik sei »wirklich frustrierend«. Immer wieder habe es innovative Optimierungsansätze gegeben, um mit digitalen Lösungen oder neuartigen Fahrzeugkonzepten die Zustellung auf der »Letzten Meile« zu verbessern. »Doch mit Ende der Förderung endet meist auch die Maßnahme«, sagt Mauch. Mit »GreenPickUp« soll das nun anders werden: In den kommenden Monaten soll der erste Prototyp der mobilen Paketstation in Stuttgart zum Einsatz kommen. »Wir hoffen, mit unserem Ansatz zu einer Entlastung des Stadtverkehrs und somit zu einer lebenswerteren Stadt beitragen zu können.«
Auch die Datenplattform, die im Zuge des Projekts entwickelt wurde, könnte in Zukunft auch in anderen Kontexten helfen, urbanen Wirtschaftsverkehr zu optimieren. Denkbar wäre hier eine intelligente Bündelung von Lieferungen, um unnötige Fahrten zu vermeiden. Das könnte auch spontane Bestellungen betreffen: Angenommen, einem Koch geht mittags das Mehl aus, und eine Gärtnerin ganz in der Nähe hat ihre Heckenschere vergessen. Bislang würden sich beide getrennt voneinander auf den Weg machen. »Künftig könnte eine KI Zusammenhänge erkennen und eine Sammellieferung von Mehl und Heckenschere mit einem Lastenrad oder E-Fahrzeug veranlassen«, sagt Mauch. »Gerade in Städten gibt es ein enormes Potenzial, logistische Abläufe zu optimieren, den städtischen Verkehr zu entlasten und die CO2-Bilanz zu senken.« »Damit diese Potenziale ausgeschöpft würden, sollten Wirtschaftsverkehrsdaten systematisch und regelmäßig erfasst und genutzt werden«, sagt Rebecca Litauer. Auch deshalb will das Projekt »GreenPickUp« mehr sein als eine nachhaltige Zustelloption für Pakete. Es könnte ein erster Schritt zu einer effizienten und umweltschonenden Organisation urbaner Wirtschaftsverkehrsströme sein, die der ganzen Stadtgesellschaft nützt.
Im Grunde wollen wir zeigen, dass es möglich ist, ein besseres – und vor allem evidenzbasiertes – Bild der Wirtschaftsverkehre im Raum Stuttgart zu zeichnen.«
Rebecca Litauer, wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team »Urban Data and Resilience«