Woran liegt das?
Wenn man so will: am Erfolg. Wenn die Auftragslage gut ist, zögern Unternehmen, Leute abzuziehen. Es könnte ja ein Auftrag flöten gehen. Dabei ist es gerade in Zeiten des Umbruchs unglaublich wichtig, an morgen zu denken, auch wenn das bedeutet, dass man heute vielleicht mal einen Verlust in Kauf nehmen muss. Investitionen in die Zukunft sind immer mit einem gewissen Risiko verbunden, denn im Stadium der Ideenfindung lässt sich Innovation kaum planen und lebt ein Stück weit vom Zufall. Man kann ihr lediglich Raum geben. Diese Unsicherheit auszuhalten, ist nicht immer einfach. Ich bin aber sicher: Wenn wir die großen Herausforderungen der Zeit wie Klimawandel, Digitalisierung, Fachkräftemangel oder die Energie- und Verkehrswende meistern wollen, dann müssen wir lernen, das »Undenkbare zu denken« und neue Wege zu beschreiten. Auch gegen Widerstände: Der Begriff »Innovation« ist scheinbar positiv konnotiert, aber wenn Sie in einem Unternehmen mit einer echten Neuerung um die Ecke kommen, werden Sie schnell merken, wie stark Beharrungskräfte sind. Mit dem Satz »Das haben wir schon immer so gemacht«, wird jede neue Idee im Keim erstickt. Innovation ist eben vor allem erst mal unbequem.
Wie entkommt man diesem Dilemma?
Auch hier können Ökosysteme helfen. Zum einen können sie Risiken minimieren. Etwa indem viele Akteure gemeinsam an einem Thema arbeiten und sich die Risiken untereinander aufteilen. Gleichzeitig profitieren die beteiligten Akteure von sich ergänzenden Fähigkeiten. So helfen wir als Fraunhofer IAO mit unserem Wissen und unserem Methoden- und Instrumentenportfolio bei den Kreativ- und Innovationsprozessen. Das verringert Unsicherheit, weil wir einen Rahmen setzen und Unternehmen helfen, die Probleme zu identifizieren und strukturiert die Problemlösung anzugehen. Dahinter steht eine simple Erkenntnis: Kreativität braucht Struktur. Ist die Tür zu einer neuen Idee einmal geöffnet, braucht es dann Promotoren, die sich dahinterklemmen. Einen Unternehmer oder eine Investorin zum Beispiel, die an die Idee glauben und die weitere Entwicklung finanzieren und vorantreiben. Sonst versandet die Idee nach ein paar Dutzend Meetings – und alles geht weiter wie bisher.
Wie ist es in Deutschland um diese Risikobereitschaft bestellt?
Wir brauchen viel mehr davon. Wir brauchen viel mehr Menschen, die unternehmerisch denken und handeln. Und meine Hoffnung ist, dass die Ökosysteme, die hierzulande derzeit entstehen, sei es der Bildungscampus Heilbronn, das Werksviertel-Mitte in München oder Quantum Gardens Ehningen, dazu beitragen. Ich hoffe, dass hier Räume entstehen, in denen Menschen lernen, dass der oft beschwerliche Weg zu einer Innovation eben auch unheimlich viel Spaß macht, und sie erfahren, dass sie die Welt verändern können. Viele Menschen denken, sie seien nicht innovativ. Ich glaube, dass jeder Mensch kreativ, innovativ und unternehmerisch sein kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.
Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Katharina Hölzle am 27. Oktober 2022:
Der Kubus der technologischen Innovation