Wir müssen lernen, das Undenkbare zu denken

Im Interview mit Prof. Dr. Katharina Hölzle über Innovationsmanagement

© Fraunhofer IAO | Foto: Aristidis Schnelzer
Gemeinsam voran: Wenn wir globale Herausforderungen wie Klimakrise, Digitalisierung oder Energiewende meistern wollen, brauchen wir mehr Kooperation in Forschung und Entwicklung, sagt Katharina Hölzle, Institutsleiterin des Fraunhofer IAO.

Innovation lässt sich nur bedingt planen, vielmehr gehe es darum, ihr Raum zu geben, sagt Prof. Dr. Katharina Hölzle, Institutsleiterin am Fraunhofer IAO. Im Interview warnt die Innovationsforscherin davor, im Status quo zu verharren – und betont die Bedeutung von Gründungs- und Innovationsökosystemen für Fortschritt und Transformation.

 

Frau Professorin Hölzle, welche Innovation hat Sie zuletzt besonders beschäftigt?
Ich würde sagen, ChatGPT und andere Chatbots. Was hier, also im Bereich der KI-basierten Erkennung und Verarbeitung von Sprache, passiert, wird die Welt verändern. Zum Beispiel im Bildungssektor: Wir haben uns in den vergangenen Jahren darauf verlassen, dass wir Wissen und seine Anwendung durch Essays oder Hausarbeiten abprüfen können. Wir stellen jetzt fest, dass eine KI häufig bessere Antworten gibt als unsere Studierenden. Welche Folgen diese Technologie für Wirtschaft und Gesellschaft haben wird, können wir aktuell kaum abschätzen. Dennoch interessiert mich als Wissenschaftlerin weniger das einzelne Produkt. Spannender finde ich die Frage: Wie kommt Innovation überhaupt zustande?

Daniel Düsentrieb, der Erfinder aus den Disney-Comics, feierte im vergangenen Jahr seinen 70. Geburtstag. Er grübelte in der Regel mit einem Stift in der Hand über Plänen – bis ihm die geniale Idee kam, illustriert durch eine Glühbirne: der Heureka-Moment!
Ich will den Wert von konzentrierter Arbeit nicht schmälern, aber in der Regel entsteht Innovation heute anders. Das liegt vor allem an der Komplexität der Aufgaben. Wenn Sie zum Beispiel etwas im Bereich Medizintechnik entwickeln wollen, brauchen Sie Expertisen aus den Feldern Medizin, Maschinenbau, IT, Ethik und vielen weiteren. Und dann Geschäftsleute, die ins Risiko gehen, sowie eine Person, die das Ganze noch finanziert. Bei dieser Vielzahl an Expertisen ist die erste Aufgabe, dass diese unterschiedlichen Akteure einander verstehen lernen. Denn sie blicken aus ganz unterschiedlichen Perspektiven auf ein Problem. Anschließend braucht diese Gruppe Menschen Ressourcen, Freiräume und Freiheiten, um gemeinsam an der Problemlösung zu arbeiten. Dazu brauchen wir »Ökosysteme«, also Räume, in denen dieser Austausch stattfinden kann.

Bietet der Bildungscampus in Heilbronn ein solches Ökosystem?
Der Bildungscampus ist ein außergewöhnliches Projekt, das zu Recht weltweit Beachtung findet. Schon heute kann man beobachten, wie hier Menschen aus der Wissenschaft, von der Universität und aus Unternehmen gemeinsam an neuen Lösungen arbeiten, wie sich Start-ups und Investoren treffen. Wie Bevölkerung und Forschende in den Dialog treten. Wir kennen aber auch andere Ökosysteme, die räumlich weniger begrenzt sind und quasi von selbst heranwachsen. Berlin ist so ein Beispiel. Dort ist ein Innovationsökosystem entstanden, ohne dass jemand es bewusst gefördert hat. Es war einfach die Stadt selbst, die kreative Köpfe angezogen hat, der Rest hat sich dann ergeben. Und dann gibt es noch »virtuelle« Ökosysteme mit Akteuren, die quer über den Globus verstreut sind. Entscheidend ist, dass ein solcher Raum ab einem bestimmten Punkt eine Sogwirkung entfaltet, immer neue Leute anzieht und so gewissermaßen neue Impulse erhält. Im besten Fall kommt er in Schwingung wie ein Pendel und wächst und gedeiht. Dann sprechen wir von einem Ökosystem, in dem Innovationen entstehen und wachsen können.

© Fraunhofer IAO | Foto: Aristidis Schnelzer
Prof. Dr. Katharina Hölzle, Institutsleiterin des Fraunhofer IAO.
© Fraunhofer IAO | Foto: Aristidis Schnelzer
Prof. Dr. Katharina Hölzle, Institutsleiterin des Fraunhofer IAO.

Wie kann man eine solche Entwicklung fördern?
Hier gibt es nicht das eine Erfolgsrezept, weil jedes Ökosystem nach eigenen Regeln funktioniert und es zum Beispiel inhaltliche Unterschiede gibt. Ein KI-Ökosystem funktioniert anders als ein Green-Tech-Ökosystem. Es gibt aber ein paar Faktoren, die unbedingt da sein müssen. Zunächst gilt es, Interessen und Erwartungen untereinander abzustimmen. Unternehmen, Kommunen und Forschungseinrichtungen können ja ganz unterschiedliche Ziele haben. Deshalb muss geregelt sein, wie Investitionen und mögliche Gewinne aufgeteilt werden. Hinzu kommt, dass die beteiligten Organisationen ihren Leuten Freiräume schaffen müssen. Unternehmen, die an diesen Prozessen teilnehmen möchten, müssen ihren klügsten Köpfen auch mal gestatten, sich vom Alltagsgeschäft zurückzuziehen, um sich Gedanken über Produkte und Geschäftsmodelle von morgen machen zu können. In Deutschland gehen viele Unternehmen diesen Weg heute leider noch nicht.

Woran liegt das?
Wenn man so will: am Erfolg. Wenn die Auftragslage gut ist, zögern Unternehmen, Leute abzuziehen. Es könnte ja ein Auftrag flöten gehen. Dabei ist es gerade in Zeiten des Umbruchs unglaublich wichtig, an morgen zu denken, auch wenn das bedeutet, dass man heute vielleicht mal einen Verlust in Kauf nehmen muss. Investitionen in die Zukunft sind immer mit einem gewissen Risiko verbunden, denn im Stadium der Ideenfindung lässt sich Innovation kaum planen und lebt ein Stück weit vom Zufall. Man kann ihr lediglich Raum geben. Diese Unsicherheit auszuhalten, ist nicht immer einfach. Ich bin aber sicher: Wenn wir die großen Herausforderungen der Zeit wie Klimawandel, Digitalisierung, Fachkräftemangel oder die Energie- und Verkehrswende meistern wollen, dann müssen wir lernen, das »Undenkbare zu denken« und neue Wege zu beschreiten. Auch gegen Widerstände: Der Begriff »Innovation« ist scheinbar positiv konnotiert, aber wenn Sie in einem Unternehmen mit einer echten Neuerung um die Ecke kommen, werden Sie schnell merken, wie stark Beharrungskräfte sind. Mit dem Satz »Das haben wir schon immer so gemacht«, wird jede neue Idee im Keim erstickt. Innovation ist eben vor allem erst mal unbequem.

Wie entkommt man diesem Dilemma?
Auch hier können Ökosysteme helfen. Zum einen können sie Risiken minimieren. Etwa indem viele Akteure gemeinsam an einem Thema arbeiten und sich die Risiken untereinander aufteilen. Gleichzeitig profitieren die beteiligten Akteure von sich ergänzenden Fähigkeiten. So helfen wir als Fraunhofer IAO mit unserem Wissen und unserem Methoden- und Instrumentenportfolio bei den Kreativ- und Innovationsprozessen. Das verringert Unsicherheit, weil wir einen Rahmen setzen und Unternehmen helfen, die Probleme zu identifizieren und strukturiert die Problemlösung anzugehen. Dahinter steht eine simple Erkenntnis: Kreativität braucht Struktur. Ist die Tür zu einer neuen Idee einmal geöffnet, braucht es dann Promotoren, die sich dahinterklemmen. Einen Unternehmer oder eine Investorin zum Beispiel, die an die Idee glauben und die weitere Entwicklung finanzieren und vorantreiben. Sonst versandet die Idee nach ein paar Dutzend Meetings – und alles geht weiter wie bisher.

Wie ist es in Deutschland um diese Risikobereitschaft bestellt?
Wir brauchen viel mehr davon. Wir brauchen viel mehr Menschen, die unternehmerisch denken und handeln. Und meine Hoffnung ist, dass die Ökosysteme, die hierzulande derzeit entstehen, sei es der Bildungscampus Heilbronn, das Werksviertel-Mitte in München oder Quantum Gardens Ehningen, dazu beitragen. Ich hoffe, dass hier Räume entstehen, in denen Menschen lernen, dass der oft beschwerliche Weg zu einer Innovation eben auch unheimlich viel Spaß macht, und sie erfahren, dass sie die Welt verändern können. Viele Menschen denken, sie seien nicht innovativ. Ich glaube, dass jeder Mensch kreativ, innovativ und unternehmerisch sein kann, wenn die Rahmenbedingungen stimmen.

 

Antrittsvorlesung von Univ.-Prof. Dr. Katharina Hölzle am 27. Oktober 2022:
Der Kubus der technologischen Innovation

Weitere Informationen

Vita

Prof. Dr. Katharina Hölzle, MBA ist seit April 2022 Mitglied der Institutsleitung des Fraunhofer IAO und leitet das IAT der Universität Stuttgart. Zuvor war sie Professorin für IT-Entrepreneurship am Hasso-Plattner-Institut in Potsdam. Frau Professor Hölzle war von 2018 bis 2022 stellv. Vorsitzende der Expertenkommission Forschung und Innovation sowie Mitglied des Hightech-Forums. Sie forscht, berät und begleitet Unternehmen, Politik und Gesellschaft in den Bereichen Technologie- und Innovationsmanagement, digitale Transformation sowie Mensch-Maschine-Interaktionen.

 

Aus dem Magazin »FORWARD

Dieses Interview ist Teil des Magazins 1/23 des Fraunhofer IAO in Kooperation mit dem IAT der Universität Stuttgart.