Quantencomputing
Mit den Quantum Gardens Ehningen entsteht auf dem heutigen IBM-Areal südwestlich von Stuttgart ein innovativer Wohn-Tech-Campus, der zu einem europäischen Zentrum der Quantenforschung werden und Fachkräfte aus aller Welt anziehen soll. Das Fraunhofer IAO begleitet den Entwicklungsprozess des Areals wissenschaftlich.
Noch weiß niemand, wie der neue Ortsteil in Ehningen, rund 30 Kilometer südwestlich von Stuttgart, aussehen wird. Doch das ändert sich bald. Denn seit November 2022 arbeiten sieben Planungsbüros im Rahmen eines städtebaulichen Wettbewerbs daran, einen Entwurf für den Innovationscampus »Quantum Gardens« zu erstellen. Anfang April präsentieren sie ihre Ergebnisse, die mit Spannung erwartet werden, denn damit bekommt dieses außergewöhnliche Projekt seine Identität: Der Siegerentwurf wird die Grundlage für den weiteren Bebauungsplan eines künftigen Zentrums für Quantencomputing in Europa sein.
Angefangen hatte alles vor etwas mehr als zwei Jahren. Im Dezember 2020 kamen IBM, die Gemeinde Ehningen, die Fraunhofer-Gesellschaft und die Wirtschaftsförderung Region Stuttgart zusammen und gründeten mit dem Netzwerk »Quantum Village Ehningen« eine erste Initiative mit dem Ziel, gemeinsam ein Zentrum rund um das Thema Quantentechnologie aufzubauen. Dies sollte den Standort stärken und ein attraktives Umfeld für die dringend benötigten Fachkräfte schaffen. Im Juni 2021 konnte IBM dann zusammen mit Fraunhofer und mit Unterstützung der Landesregierung Baden-Württemberg den »IBM Quantum System One«, den ersten kommerziell nutzbaren Quantencomputer in Europa, feierlich in Betrieb nehmen.
Seitdem ist viel passiert. Im Herbst 2021 erwarb der Projektentwickler Ozean Horizont das neun Hektar große Areal von IBM und hat nun Großes damit vor. Der Investor beauftragte das Fraunhofer IAO, eine Leitvision zu entwickeln und Anforderungen für ein innovatives, lebendiges Quartier zu konzipieren, in dem nicht nur gearbeitet, sondern auch gewohnt werden kann, und das Ganze wissenschaftlich zu begleiten. »Die Aufgabe war, eine Vision auszuarbeiten, wie eine Kleinstadt in der Region Stuttgart zu einem Epizentrum für Quantencomputing werden könnte«, sagt Steffen Braun, Leiter des Forschungsbereichs Stadtsystem-Gestaltung am Fraunhofer IAO. Es galt, Gegensätze zu vereinen.
Die Forschenden analysierten andere internationale Quartiersentwicklungen, etwa Woven City in Japan oder Standorte für und mit Quantencomputing wie den Google Quantum AI Campus in Santa Barbara oder Uptown Basel in der Schweiz. Daraus leiteten sie ein Zukunftsszenario für den Wohn-Tech-Campus mit Schwerpunkt auf ausgewählte Zukunftsbranchen rund um Quantencomputing und Deeptech ab. Als Teil des Innovationsökosystems der Wirtschaftsregion Stuttgart sollen hier klimagerechte und nachhaltige Technologien eingebunden und erprobt werden, auf allen Ebenen. Das Ziel ist es, neben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern aus den großen Quantenforschungsnetzwerken in Baden-Württemberg wie dem »Kompetenzzentrum Quantencomputing BW« der Fraunhofer- Gesellschaft oder dem »Integrated Quantum Science and Technology« (IQST) der Universitäten Stuttgart und Ulm auch Expertinnen und Experten aus Europa und aller Welt anzuziehen.
Ein erster Baustein von Quantum Gardens ist das »Quantum & AI Experience Center« (Q.AX), an dessen Entwicklung das Fraunhofer IAO federführend beteiligt ist. Als eine Art Zentrum für Erlebnis, Zusammenarbeit und Vernetzung wird es Technologien wie Quantencomputing, Maschinelles Lernen und Künstliche Intelligenz (KI) für die Öffentlichkeit verständlich und erlebbar machen. Als Raum für Schulungen, Fachkonferenzen, Events und Co-Innovation soll es zudem die Entstehung eines lokalen und landesweiten Campus-Ökosystems vorantreiben.
Ein weiterer Fokus liegt auf innovativen Wohnkonzepten. »In zehn Jahren werden Arbeitnehmer in Technologiebranchen ganz andere Bedürfnisse an ihren Arbeitsort haben«, sagt Braun. »Wenn sich Trends wie Workation verstärken, wo Leute auch mehrere Wochen im Ausland arbeiten, werden zum Beispiel neue temporäre Wohnangebote sinnvoll.« Denkbar seien auch neue Infrastrukturkonzepte, die eine andere Form von Mobilität oder klimaneutrale Lebensmittelversorgung auf dem Campus ermöglichten. »Dabei kann Quantum Gardens selbst zum Test- und Experimentierfeld für sich ansiedelnde Unternehmen werden.«
Eine enge Verflechtung von Wohnen und Arbeiten kann in zukunftsorientierten Branchen zu spannenden Impulsen führen. »In so einem offenen Campus entstehen über zufällige Begegnungen, etwa in Co-Working-Spaces, in der Kaffeepause oder auf Abendevents, kreative Ideen, die man sonst nicht erreichen würde«, sagt Dr. Christian Tutschku, Leiter des Teams »Quantencomputing«. »Gerade in einem Ökosystem, in dem verschiedene Player zusammenkommen, von Start-ups, Herstellern von Hardware, Software und mehr, kann es sehr interessant sein, zu wohnen und verschiedene Ideen aufzufangen, auch außerhalb der Arbeit.«
Ist von Quantencomputern die Rede, steht vor allem ihre ungeheure Rechenleistung im Vordergrund, die herkömmliche Computer bei Weitem übertrifft. Der Grund: Statt der binären Bits, die entweder den Zustand 0 oder 1 abbilden, verwenden sie sogenannte Qubits als Informationseinheit, die für eine gewisse Zeit beides sein können, 0 und 1. Dadurch sind sie in der Lage, viel mehr Daten zu verarbeiten und komplexere Probleme in kürzerer Zeit zu lösen. Beispiel: Um die ideale Route eines Lkw in einem Straßennetz zu finden, würde ein normaler PC eine Strecke nach der anderen berechnen. Ein Quantencomputer hingegen berechnet alle Alternativen gleichzeitig, in einem Durchlauf. Noch ist dieser Rechner sehr raumgreifend. Der »IBM Quantum System One«, Europas erster kommerziell nutzbarer und DSGVO-konformer Quantencomputer, ist in einem luftdichten Glaswürfel untergebracht und misst 2,74 Meter pro Seite.