Kompetenztraining
Frau Korge, was genau ist agiles Sprintlernen?
Viele denken beim Wort agil an das agile Projektmanagement, wenn Teams unter Anleitung, aber doch eigenverantwortlich kreativ Neues schaffen. Beim agilen Sprintlernen ist es ähnlich. Es handelt sich hierbei um eine neue Lernform, die das Lernen anders organisiert als bisher.
Inwiefern?
Beim beruflichen Lernen unterscheiden wir zwischen zwei grundlegenden Ansätzen: dem formalen Lernen, wie wir es aus Seminaren kennen, und dem informellen Lernen. Beides hat Vor- und Nachteile. Das Problem beim formalen Lernen ist die oft aufwendige Vorbereitung. Man kann dann nicht zeitnah zu aktuellen Themen lernen. Manchmal sind die Inhalte schon überholt, wenn das Lernen startet.
Und das informelle Lernen?
Informelles Lernen geschieht, wenn ich mit meiner Aufgabe nicht weiterkomme und eine Kollegin frage oder einem Kollegen über die Schulter schaue. Ich probiere etwas aus, recherchiere und versuche, neues Wissen anzuwenden, um ein Problem zu lösen. Ein Vorteil ist: Es ist treffsicherer. Ich lerne zeitnah, was ich brauche. Der Nachteil ist: Die Qualität ist nicht gesichert. Antworten von Google oder der Künstlichen Intelligenz müssen nicht stimmen. Orientiere ich mich an Kollegen, weiß ich nicht, ob ich nicht deren Fehler fortführe. Außerdem fehlt die Übersicht im Betrieb, wer was kann. Wenn ich an die Ausrichtung auf künftige Transformationen denke, ist das ein Riesenproblem. Wenn niemand in meinem Umfeld die neue Technologie beherrscht, kann ich auch niemanden fragen.
Wie lässt sich das lösen?
Darüber habe ich lange nachgedacht und die Antwort gefunden, als ich einer Firma dabei half, agiler zu werden und Scrum anzuwenden. Scrum ist ein Ansatz für agiles Projektmanagement in der Softwareentwicklung, der inzwischen auch in vielen anderen Bereichen angewendet wird. Und ich erkannte: Scrum ist auch der Schlüssel, um das Lern-Dilemma zu lösen! Ich habe Scrum dann auf das berufliche Lernen übertragen und angepasst.
Können Sie beschreiben, wie das funktioniert?
Beim agilen Sprintlernen haben wir verschiedene Rollen und einen speziellen Ablauf. Wir haben einmal den Auftraggeber, der möchte, dass eine Gruppe neue Kompetenzen aufbaut, und ein Team aus Lernenden. Eine fachliche Begleitung bereitet den Lernstoff vor und leitet das Team an. Daneben gibt es eine Sprint-Begleitung, die sich didaktisch auskennt und beim Lernen oder bei Konflikten helfen kann. Die fachliche und die Sprintbegleitung kommen meist aus dem Unternehmen, manchmal von außen.
Wie läuft das dann ab?
Das Lernen startet mit einem Kick-off. Der Auftraggeber stellt das Lernziel dar und erklärt, wofür die Kompetenzen benötigt werden. Warum es den Betrieb voranbringt und den Mitarbeitenden nützt. Das ist der Auftakt, damit jeder versteht, worum es geht. In der folgenden Planungsphase wird besprochen, was, wie und in welcher Zeit gelernt wird. In der folgenden Lernphase, dem »Lernsprint«, bearbeitet das Team Aufgaben, die es zum eigenständigen Lernen anleiten. Am Ende eines Sprints treffen sich alle, das Team stellt die Ergebnisse vor, erhält und gibt Feedback, man reflektiert den Ablauf, und die nächste Runde startet.
Es ist eine Mischung aus formalem und informellem Lernen.
Ja, man lernt punktgenau das, was man aktuell braucht, und wendet es direkt an.
Wie lange hat die Entwicklung gedauert?
Inklusive der Zeit, in der wir die Methode vielfach erprobt haben, drei Jahre.
Was ist Ihre wichtigste Erkenntnis aus der Zeit?
Es braucht Mut, etwas Neues auszuprobieren. Wir haben aber gesehen, dass das agile Sprintlernen bei Unternehmen gut funktioniert und allen Beteiligten Spaß macht. Niemand wird überfordert, und alle Beteiligten erhalten die Unterstützung, die sie brauchen. Die Lernziele werden zuverlässig erreicht.
Wann kommt agiles Sprintlernen in Frage?
Ich würde es nicht einsetzen, wenn es um reines Fachwissen geht oder um einfaches funktionales Wissen, wenn es also reicht, etwas vorzumachen, nachzumachen, einzuüben, etwa am Band in der Montage. Ich brauche anspruchsvollere Lernformate wie das agile Sprintlernen, wenn ich möchte, dass meine Leute mitdenken und Entscheidungen treffen. Wenn ich Wissen tiefer verankern und anknüpfen möchte an eigenes Wissen, um im Arbeitsalltag handlungsfähig zu sein.
Sprechen Sie damit bestimmte Zielgruppen an?
Nein, die Methode eignet sich für jede Zielgruppe und Branche. Entscheidend ist das Kompetenzlevel. Allerdings eignet es sich nicht für Firmen, in denen eine Kultur von Kontrolle herrscht. Das agile Sprintlernen überlässt einen großen Teil der Lernsteuerung den Lernenden. Wenn das Umfeld nicht bereit ist, Mitarbeitenden Freiräume fürs Lernen zuzugestehen oder auch mal Misserfolge hinzunehmen, ist das nichts für sie.
Wie viel Zeit muss man hierfür einplanen?
Das hängt vom Thema und der Dringlichkeit ab. Ich kann das agile Sprintlernen verdichten oder in die Länge ziehen. Einmal hatten wir einen sehr engen Zeitrahmen, weil Mitarbeitende von verschiedenen Standorten aus aller Welt zusammenkamen. Die hatten eine Woche, die einzelnen Sprints dauerten jeweils eineinhalb Tage. Ein anderer Betrieb wollte eine neue Software einführen und brauchte für jeden Sprint sechs Wochen, weil die nötigen abteilungsübergreifenden Abstimmungsvorgänge Teil der Lernaufgaben waren.
An wen können sich interessierte Unternehmen wenden?
Sie können sich bei mir melden. Wir haben auch Angebote, die es ermöglichen, das agile Sprintlernen kennenzulernen und für sich zu pilotieren, etwa das »Deep Dive«. Das ist ein eintägiger Workshop bei uns in Heilbronn, bei dem die Teilnehmenden den gesamten Prozess einmal durchlaufen. Das bieten wir 2025 auch wieder an.