Die Frau fürs Digitale

Digitale Transformation

© Martin Albermann
Dr. Lena Wagner, Senior Manager Digital Innovation Campus, Bosch

Dr. Lena Wagner führt im Elektrifizierungsbereich bei Bosch neue digitale Tools und Technologien ein. Gelernt hat sie das auch am Fraunhofer IAO. Ein Einblick in einen Job, der zeigt, was Digitalisierung in der Arbeitswelt wirklich bedeutet.

Fragt man Lena Wagner, wie sie einen der weltgrößten Automobilzulieferer in die digitale Zukunft führt, erzählt sie die Geschichte von den Urlaubszetteln. Als sie 2012 als Technologiekoordinatorin bei Bosch in Bühl anfing, schrieben die Mitarbeitenden in den Werkshallen ihren Urlaubsantrag noch per Hand auf einen grünen Zettel und gaben ihn beim Meister ab. Auf große Reise ging dann aber erst mal der Zettel – und kam ziemlich spät wieder zurück zum Absender. Das musste dringend geändert werden. Aber wie?

 

Unser Ziel ist es, die internen Abläufe bei Bosch durch digitale Innovationen zu verbessern.«

Dr. Lena Wagner, Senior Manager Digital Innovation Campus, Bosch
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Neue Welten erobern: Lena Wagner testet eine VR-Brille, wie sie für Metaverse-Anwendungen benötigt wird. Eines der nächsten Kapitel der Digitalisierung bei Bosch könnte sich dort, im virtuellen Raum, abspielen.
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Maßgeschneiderte Lösung: Lena Wagner und Clemens Burgert haben eine Fertigungsanlage in Bühl moderner und effizienter gemacht.

Der Werksleiter wandte sich an Lena Wagner. Die damals 30-Jährige hatte durch ihr Studium des Maschinenbaus am Karlsruher Institut für Technologie und des Technologiemanagements am IAT der Uni Stuttgart sowie ihre Zeit als Hilfswissenschaftlerin am Fraunhofer IAO bereits Erfahrungen mit der Digitalisierung gesammelt. Gemeinsam mit ihrem neuen Team bei Bosch überlegte sie, wie man den Kolleginnen und Kollegen in der Produktion mit digitalen Tools helfen könnte, ihre Urlaubsanträge zügiger zurückzubekommen.

Sie entschieden sich dafür, in der Werkshalle mehrere Terminals mit Computern aufzustellen, an denen die Mitarbeitenden künftig ihre Anträge digital einreichen können. Was heute banal klingt, war damals ein echtes Novum. »Am Anfang waren die Kolleginnen und Kollegen sehr skeptisch, sie hatten Bedenken, den Computer lahmzulegen, wenn sie den falschen Knopf drücken«, sagt Wagner. Der Altersdurchschnitt in der Produktion lag damals bei über 50 Jahren – eher keine Digital Natives.

Doch Wagner und ihr Team boten Schulungen an, zeigten den Kolleginnen und Kollegen Schritt für Schritt, wie der neue digitale Helfer funktioniert. Sie erklärten ihnen die Vorteile, zum Beispiel dass sie jetzt viel schneller die Rückmeldung bekommen, ob ihr Urlaub genehmigt wurde, sogar auf ihre private E-Mail-Adresse. Es dauerte etwas, doch dann hatten die Kolleginnen und Kollegen die Terminals voll in ihren Arbeitsalltag integriert und nutzen sie mittlerweile auch für digitale Schulungen. »Inzwischen machen sie uns sogar Vorschläge, wie wir das System weiterentwickeln können«, sagt Wagner.

Ein Job an der Schnittstelle

Das Beispiel zeigt, was Digitalisierung in der Arbeitswelt konkret bedeutet. Welche Fallstricke und Herausforderungen es gibt. In fast allen Wirtschaftszweigen wird derzeit über Industrie 4.0, Big Data und Künstliche Intelligenz gesprochen. Doch hinter diesen Schlagworten verbirgt sich weit mehr als das Programmieren von Algorithmen. Wenn die neuen Technologien zum Einsatz kommen sollen, müssen die Menschen, die mit ihnen arbeiten, an die Hand genommen, neugierig gemacht und geschult werden. »Dazu gehört mitunter auch harte Überzeugungsarbeit«, sagt Wagner, die Digitalisierungsprojekte bei Bosch am Standort Bühl leitet. Ein Job an der Schnittstelle zwischen technologischer Innovation und menschlicher Arbeit.

Heute, zwölf Jahre nach der Umstellung auf digitale Urlaubszettel, ist Lena Wagner 42 Jahre alt, Mutter von drei Kindern und als »Senior Manager Digital Innovation Campus« verantwortlich für Digitalisierungsprojekte an zwölf Standorten des Geschäftsbereichs »Electrified Motion«, in dem weltweit 18 000 Mitarbeitende elektrische Antriebe entwickeln und fertigen.

Das Ziel: interne Abläufe verbessern

Was genau sie macht? Wagner formuliert es so: »Ich entdecke neue Technologien, probiere sie aus und versuche, sie für uns nutzbar zu machen.« Im Fokus stehen dabei Fragen wie: Welche Daten könnten genutzt werden, um die Produktivität der Maschinen zu steigern? Könnten Mitarbeitende mit VR-Brillen geschult werden? Wie ließe sich die Qualitäts­kontrolle mit Künstlicher Intelligenz verbessern? »Unser Ziel ist es, die internen Abläufe bei Bosch durch digitale Innovationen zu verbessern«, sagt Wagner. Innovationen, von denen im besten Fall alle profitieren: die Mitarbeitenden, das Unternehmen – und somit auch die Kundschaft. Ein Sticker, der auf ihrem Laptop prangt, bricht es auf drei Worte herunter: »Next Level Shit« steht da in großen Lettern.

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Eine 50 Meter lange Fertigungslinie produziert alle vier Sekunden einen Motor zur Sitzverstellung. Mit ihrem Team um Data Scientist Stefan Groh will Lena Wagner die Maschine noch effizienter machen. Dabei setzen sie auf RFID-Chips und Künstliche Intelligenz.

Das Thema in die Breite tragen

Schon während ihres Studiums in Karlsruhe und Stuttgart durfte sie als Hilfswissenschaftlerin am Fraunhofer IAO Mittelständler beraten, wie sie digitale Prozesse effizienter gestalten können. Sie schrieb ihre Studienarbeit über die »Theorie des erfinderischen Problemlösens« und konnte ihre Erkenntnisse im Auftrag des IAO direkt erproben. »Da saß dann ein erfahrener Entwicklungschef vor mir, bei dem ich mich als junge Studentin erst mal beweisen musste«, erinnert sie sich. Sie erzählte ihm zum Beispiel von der Zwergenmethode. Dabei stellt man sich vor, wie viele kleine Menschen agieren würden, wenn man den Arbeitsprozess verändert oder ein neues Produkt einführt. Halten sie sich fest, fallen sie hin, schubsen sie sich gar? »Das hat zunächst viel Skepsis ausgelöst«, sagt Wagner. Doch als der Workshop vorbei war, sei der Mann so überzeugt gewesen, dass er die Zwergenmethode unbedingt selbst praktisch einsetzen wollte. Später promovierte Lena Wagner an der GSaME (Graduate School of Excellence advanced Manufacturing Engineering) am Institut für Arbeitswissenschaft und Technologiemanagement der Universität Stuttgart, das mit dem Fraunhofer IAO kooperiert. Dort wird interdisziplinär ein Bild der Fabrik der Zukunft entworfen. Danach wechselte sie zu Bosch.

Bosch beschäftigt im Werk Bühl / Bühlertal am Fuße des Nordschwarzwalds etwa 3000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Sie arbeiten in der Elektrifizierungssparte und stellen in erster Linie elektrische Motoren her, etwa für Fensterheber, Sitzversteller oder Heckklappen.

»Mir war es wichtig, das Thema Digitalisierung in Bühl schnell in die Breite zu tragen«, sagt Wagner. Ihr kamen viele Ideen, wie sie das anstellen möchte. Zum Beispiel bot sie zwei Auszubildenden an, im Rahmen eines Sommerprojekts sechs Wochen lang in ihrem Team an Digitalisierungsprojekten mitzuarbeiten. So ist der Kamera-Shop entstanden. Lange Zeit hatte jede Abteilung in Bühl eine eigene Kamera, um zum Beispiel beschädigte Maschinen oder fehlerhafte Produkte zu fotografieren und zu filmen. Doch meist standen diese ungenutzt im Schrank. Die Idee der Auszubildenden war es, einen Shop an der Pforte einzurichten, in dem die Kameras zentral zur Verfügung stehen und bei Bedarf online ausgeliehen werden können – was eine Menge Geld spart.

 

Statt die ganze Maschine zu vernetzen, haben wir die Werkstückträger aufgerüstet.«

Dr. Stefan Groh, Data Scientist, Bosch
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(v.l.n.r.) Stefan Groh, Jürgen Seibert, Fertigungsplaner der NSA-Linie und Initiator der gezielten Datenanalyse, sowie Michael Nestler, Meister des Fertigungsbereichs NSA, der die digitale Transformation aktiv vorantreibt. Gemeinsam arbeiten sie an innovativen Lösungen zur Effizienzsteigerung in der Produktion.
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Robotertechnik ist schon heute Alltag bei Bosch, KI bald ebenfalls.
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Dauerausstellung: An einer Wand sind Bosch-Motoren angebracht, die im Werk in Bühl produziert werden.

Kolleginnen und Kollegen früh einbinden

Zwei Grundsätze leiten Wagner bei Projekten wie diesem. Zum einen sollen die Kolleginnen und Kollegen so früh wie möglich in die digitale Transformation eingebunden werden. Und zum anderen soll ein konkreter, spürbarer Mehrwert entstehen. »Digitalisierung macht keiner allein, sondern alle gemeinsam«, sagt Wagner.

Lena Wagners Team besteht aus ihr selbst – und vier Männern. Doch das ist sie gewohnt. Als sie 2001 ihr Maschinenbaustudium in Karlsruhe begann, musste sie unter den 800 Erstsemestern ganz schön lange nach anderen Frauen suchen. Maschinenbau ist Männerdomäne. Selbst heute liegt der Frauenanteil in dem Studiengang bei gerade einmal zehn Prozent. Einer der Dozenten grüßte damals immer so in die Runde: »Guten Morgen, die Herren – und Frau Wagner.« Sie sagt rückblickend: »Da musste ich mich erst dran gewöhnen, aber mich hat das motiviert.« Sie gewann an Durchhaltevermögen, merkte, dass Dinge nur besser werden, wenn man nicht so schnell aufgibt.

Performance gesteigert

Dieses Wissen hilft ihr auch heute in ihrer Arbeit bei Bosch. Nachdem die meisten Papierprozesse digitalisiert waren, läutete sie mit ihrem Team Phase 2 der Digitalisierung ein, jetzt wollten sie noch mehr Daten erheben, Dashboards entwickeln und Apps programmieren. Was das konkret bedeuten kann, lässt sich in einer Werkshalle auf dem Bosch-Campus besichtigen, wo alle paar Sekunden ein neuer elektrischer Motor für die Sitzverstellung in Autos produziert wird. Der Ort, an dem das passiert, ist eine rund 50 Meter lange Fertigungsstraße, die seit vielen Jahren in Betrieb ist. »Die Linie arbeitet absolut zuverlässig«, erzählt Clemens Burgert, der als Wertstrom-Manager für die Fertigungsplanung der Linie zuständig ist.

Das Dilemma, das sich im Falle der Fertigungsstraße für Elektromotoren stellte, formuliert Dr. Stefan Groh, Data Scientist in Wagners Team, so: »Um die Performance der Linie durch Daten- und KI-gestützte Analysen zu verbessern, müssen wir zunächst Daten sammeln und korrelieren, was mit den alten Maschinen nicht so einfach möglich ist. Zugleich wäre es aber nicht wirtschaftlich gewesen, sie technisch aufzurüsten.« Der Preis der Motoren wäre gestiegen, und auf dem Weltmarkt zählt jeder Cent. »Also haben wir nach einer intelligenten Lösung gesucht, wie wir die Daten kostengünstig sammeln, aufbereiten und weiterverwenden können«, sagt Groh. »Und die haben wir gefunden.« Statt die ganze Maschine zu vernetzen, haben sie die Werkstückträger aufgerüstet. Auf diesen Trägern fährt der Motor durch die Fertigungslinie. Und weil die Träger mit RFID-Chips ausgestattet sind, die noch freie Kapazitäten zur Datenverarbeitung hatten, lässt sich nun ihr Weg durch die Linie nachvollziehen. Sobald sich andeutet, dass etwas nicht nach Plan läuft, bewertet eine KI-Software die Auswirkung und schickt eine Meldung mit der wahrscheinlichsten Ursache auf die Handys von Produktionsplaner und Facharbeiter, damit diese steuernd eingreifen können.

Zwei Jahre nach Projektstart hat Wagners Team die Ergebnisse schwarz auf weiß: »Wir konnten die Performance mehrere Prozentpunkte steigern«, sagt Clemens Burgert. Auch die Qualität der Motoren habe sich verbessert, es gebe kaum mehr Beanstandungen. Lena Wagner sagt: »Das sind super­einfache Methoden, um die Qualität zu steigern, den Output zu erhöhen und die Zusammenarbeit mit den Kolleginnen und Kollegen zu verbessern.«

Digitalisierung bei Bosch: 
Bosch hat in den letzten Jahren Milliardensummen in Digitalisierung und Vernetzung investiert. Autos, Akkuschrauber, Waschmaschinen –selbst Alltagsgegenstände sind heute untereinander und mit dem Internet verbunden, und immer öfter verfügen sie auch über Künstliche Intelligenz. Doch auch intern tut sich einiges. Moderne Produktionsmaschinen sammeln Daten an jedem Knotenpunkt, kommunizieren untereinander und mit der gesamten Lieferkette. Nur so können Firmen wie Bosch auch künftig auf dem Weltmarkt bestehen.

Mehrwert der Digitalisierung

Mit Projekten zeigt Lena Wagner, welcher Mehrwert in der Digitalisierung liegt. So kann sie jetzt Phase 3 einläuten. Zu den möglichen Protagonisten dieses nächsten Kapitels der Digitalisierung gehören VR-Brillen, Industrial Metaverse, digitale Zwillinge. Doch so abgefahren die Ideen klingen, der Grundsatz bleibe immer der gleiche, sagt Wagner. »Wir wollen die Kollegen mit einfachen Anwendungsbeispielen neugierig machen, uns in sie hineinversetzen und ihnen die Ängste nehmen.« Denn eins sei klar: Innovation werde es immer geben. Auf Phase 3 folgt Phase 4 folgt Phase 5. Lena Wagner freut sich darauf. »Ich mag einfach neue Sachen.« 

 

Weitere Informationen

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Studiengang Technologiemanagement

Die Absolventinnen und Absolventen des Bachelorstudiums Technologiemanagement schlagen die Brücke zwischen den technologischen und betriebswirtschaftlichen Themen in einem Unternehmen. In zukunftsorientierten und praxisnahen Projekten arbeiten sie an anspruchsvollen Aufgaben und bringen dabei unterschiedliche Perspektiven und vielseitiges Wissen ein. Sie beschäftigen sich mit hochaktuellen Themen wie autonomen Systemen, E-Mobility, Green Economy, vernetzter Produktion oder New Work.

 

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✔ Testen und Erleben von Produkten durch bis zu 15 Personen gleichzeitig über Standorte hinweg.
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Forschungsergebnisse

Kostenlose Studie

Die Studie »Infrastruktur und Anwendungsfälle für das Metaverse – Erweiterte Realitäten in verteilten Arbeitswelten« kann unter folgendem Link kostenlos heruntergeladen werden.

GSaME

Interdisziplinäres Promotionsprogramm: Die Graduiertenschule GSaME (Graduate School of Excellence advanced Manufacturing Engineering) wurde 2007 gegründet und ist als zentrale wissenschaftliche Einrichtung der Universität Stuttgart etabliert.

 

Aus dem Magazin »FORWARD

Diese Reportage ist Teil des Magazins 2/24 des Fraunhofer IAO und des IAT der Universität Stuttgart.