Arbeitsgestaltung in der Intralogistik
PR-Tronik aus Karlsbad vertreibt elektronische Bauteile für die Industrie. Mit Unterstützung des Fraunhofer IAO hat das Unternehmen zunächst Prozesse der Intralogistik umgestaltet – und testet derzeit ein Rotationsprinzip unter Mitarbeitenden. Es zeigt sich: Das Neue wird schnell normal.
Heute ist eine Palette mit Widerständen aus China angekommen. Logistikleiter Philipp Sandner entnimmt den Kartons mehrere hundert schmale, weiße Rollen, auf die ein langes Band gewickelt ist. Auf den ersten Blick sehen die Rollen alle gleich aus. Doch wenn man etwas genauer hinschaut, erkennt man, dass die kleinen Bauteile, die alle paar Zentimeter auf den Rollen sind, in der Größe variieren. »Auf jeder Rolle befinden sich 5000 Widerstände mit einem bestimmten Ohmwert«, erläutert Philipp Sandner. Diese Werte machen den Unterschied.
Jetzt folgt die »Vereinnahmung« der Ware, wie es auf Logistik-Deutsch heißt. Will sagen: Die Aufnahme ins hauseigene IT-System und die Platzierung im Lager. »Früher hätte ich jetzt die Produktnummer auf jeder einzelnen Rolle mit dem bloßen Auge prüfen und im Anschluss für jede Rolle ein Etikett drucken müssen«, erzählt Sandner. Heute muss er die Strichcodes der Tüten nur unter eine Kamera halten. Im selben Moment ist die Ware im hauseigenen IT-System registriert, einen Augenblick später fahren die Etiketten automatisch aus einem Drucker heraus. Sobald die auf den Rollen kleben, ist die Ware angekommen.
»Der Schlaue Klaus« nennt sich das kamerabasierte Wareneingangssystem, das Philipp Sandner und seine Kollegen seit zwei Jahren unterstützt – zur Freude des ganzen Teams. »Die händische Prüfung des Wareneingangs, das Ablesen der langen Nummern auf hunderten von Rollen pro Tag war zeitaufwendig und belastete die Augen auf Dauer«, so Sandner. Hinzu kommt: Eine Sekunde der Unaufmerksamkeit reicht aus, um einen Zahlendreher zu übersehen – oder zu verursachen. Mögliche Folge: Ein Produkt landet in der falschen Kiste – und bei der nächsten Bestellung erhält ein Kunde das falsche Bauteil.
Fehler können wir uns schlicht nicht leisten.«
Stefan Portmann, Gründer und Geschäftsführer von PR-Tronik
»Solche Fehler können wir uns schlicht nicht leisten«, sagt Stefan Portmann, Gründer und Geschäftsführer von PR-Tronik mit Sitz in Karlsbad, zwischen Karlsruhe und Pforzheim gelegen. Um zu verstehen, warum das so ist, folgt man Portmann am besten auf einem kleinen Rundgang durch das Lager der Firma. Auf hunderten von Regalmetern stehen hier kleine Kisten, in denen elektronische Bauteile lagern: Kondensatoren, Transistoren, Widerstände oder Leuchtdioden. Stefan Portmann schätzt, dass 8000 verschiedene Teile in seinen Regalen liegen. Insgesamt rund 400 Millionen Stück.
Viele davon sind so klein wie ein Reiskorn, umso größer ist allerdings ihre Bedeutung: Mit den Bauteilen, die PR-Tronik vertreibt, werden Leiterplatten bestückt, die als Schaltungen in den meisten Maschinen und Anlagen dienen. Man könnte es auch so formulieren: Ohne die Mini-Komponenten aus Karlsbad stünde das Land still. Und da man viele Teile mit dem bloßen Auge nicht voneinander unterscheiden kann, ist es so wichtig, dass jedes ins richtige Fach wandert. Zum Beispiel die Palette Widerstände, die heute aus China gekommen ist. Die falsche Zuordnung einer Rolle könnte beim Kunden eine ganze Produktserie unbrauchbar machen. Seit man den »Schlauen Klaus« an Bord habe, sei das aber im Grunde unmöglich, sagt Stefan Portmann.
Drei Jahre ist es her, dass der Arbeitsplatz im Wareneingang von PR-Tronik mit dem kamerabasierten Assistenzsystem »Der Schlaue Klaus« ausgestattet wurde. Die Neuerung war das Ergebnis des Projekts »Previlog«, das PR-Tronik gemeinsam mit dem Fraunhofer IAO in den Jahren 2017 bis 2019 durchgeführt hat. Das Ziel des vom Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) geförderten Projekts: Arbeitsplätze in Betrieben individueller und ergonomischer zu gestalten. Da kann es darum gehen, Menschen, die in der Produktion schwer heben müssen, mit Exoskeletten auszustatten. Oder, wie bei PR-Tronik, Arbeitsprozesse mit Hilfe digitaler Assistenten zu optimieren.
»In einem ersten Schritt haben wir uns den Arbeitsalltag im Unternehmen angesehen und Gespräche mit der Belegschaft geführt«, erzählt Dr. Dirk Marrenbach aus dem Team »Produktionsmanagement« des Fraunhofer IAO, der das Projekt geleitet hat. Am Ende dieses Prozesses sei klar gewesen, dass es im Wareneingang Optimierungspotenzial gibt. In einem nächsten Schritt hat Marrenbachs Team PR-Tronik dabei unterstützt, einen höhenverstellbaren Arbeitsplatz mit spezieller Beleuchtung einzurichten, den geeigneten digitalen Helfer zu finden und die Mitarbeitenden im Umgang mit ihm zu schulen.
»Die eigenen Prozesse zu durchleuchten und zu optimieren, könnte vielen Unternehmen helfen«, sagt Dirk Marrenbach. Das Problem sei häufig nur, dass gerade Mittelständler sehr im Alltagsgeschäft gefangen seien und gar keine Kapazitäten hätten, sich um neue Technologien zu kümmern. Gerade das mache aber Projekte wie »Previlog« so interessant, sagt Marrenbach. »Zum einen, weil es eine Förderung vom BMBF gibt. Zum anderen, weil wir vom Fraunhofer IAO unsere Partner auch bei den ganzen Formalitäten unterstützen.«
Die eigenen Prozesse zu durchleuchten und zu optimieren, könnte vielen Unternehmen helfen.«
Dr. Dirk Marrenbach, Wissenschaftlicher Mitarbeiter im Team »Produktionsmanagement« des Fraunhofer IAO
Stefan Portmann musste nicht lange überlegen, als das Fraunhofer IAO ihm vorschlug, an »Previlog« teilzunehmen. »Natürlich ist das erst mal mit Arbeit verbunden«, sagt er. Aber er ist eben einer, der die Herausforderung liebt. Und gerne mal was Neues ausprobiert. Das war schon so, als er PR-Tronik mit einem Freund zusammen gegründet hat. Damals, Mitte der 1990er Jahre, war Portmann in einem Unternehmen angestellt, das ebenfalls mit elektronischen Bauteilen handelt, allerdings in viel größerem Maßstab. »Dort fiel mir auf, dass viele Kunden gerne kleinere Mengen bestellen würden.« Um diese Lücke zu füllen, gründeten Portmann und sein Kompagnon PR-Tronik. »Im ersten Jahr werkelten wir noch in meiner Junggesellenwohnung herum«, erzählt er. Das war 1995. Ein Jahr später bezogen die beiden bereits einen Standort mit 100 Quadratmetern Lagerfläche. So ging das weiter mit dem Wachstum, bis das Unternehmen am jetzigen Standort angekommen war: mit rund 35 Mitarbeitenden, 1600 Quadratmetern Lager und 500 Quadratmetern Bürofläche.
Noch weiter wachsen soll die Firma nicht, sagt Portmann. Lieber in der bestehenden Größe stabil bleiben. Dazu gehört auch: dafür zu sorgen, dass die Leute gerne bei ihm arbeiten. »Es ist schwer, geeignetes Personal zu finden«, so Portmann. Deshalb hat er zugesagt, als das Fraunhofer IAO ihm vor rund einem Jahr erneut eine Zusammenarbeit anbot. »ProRotation« heißt das neue Projekt, bei dem es darum geht, die Rollenverteilung in der Intralogistik des Unternehmens neu zu organisieren. Bisher haben Mitarbeitende eine feste Aufgabe wie die Arbeit im Wareneingang oder die Kommissionierung, also das Zusammenstellen von Kundenbestellungen.
Seit dem Sommer 2024 testen sie nun im Rahmen des neuen Projekts die wohlorganisierte Rotation der Mitarbeitenden. Die Vorteile liegen auf der Hand: Zum einen kann das Unternehmen flexibler auf Auftragsspitzen reagieren, wenn Mitarbeitende spontan zwischen Aufgaben wechseln können. Zum anderen schafft die Abwechslung körperliche Entlastung, was die Arbeitssituation insbesondere für ältere Mitarbeitende verbessert. »Während man im Wareneingang viel sitzt oder steht, marschiert man in der Kommissionierung schon mal 20 000 Schritte pro Tag«, sagt Stefan Portmann. Ein Rotationsprinzip könnte helfen, die unterschiedlichen Belastungen besser unter den Mitarbeitenden aufzuteilen.
Was banal klingen mag, muss bedacht umgesetzt werden. »Neben einer Reihe rechtlicher Fragen, die es zu klären gilt, müssen Schulungen organisiert und ein Rotationsprinzip entwickelt werden«, sagt Fraunhofer-Projektleiter Dirk Marrenbach. »Auch in diesem Fall haben wir im Vorfeld Gespräche mit den Mitarbeitenden geführt.« Wer sich offen gegenüber der Idee zeigte, wurde eingeladen, an einer Pilotphase teilzunehmen.
Seit dem Sommer 2024 testet ein Teil der Belegschaft nun tageweise das neue System. Und es sieht so aus, als könnte das schon bald Alltag im Unternehmen sein. »Selbst jene, die anfangs skeptisch waren, finden Gefallen an der Idee«, so Portmann. So sei das oft mit großen Veränderungen, findet er. Erst scheue man sich vielleicht etwas vor dem Schritt ins Ungewisse. Habe man ihn aber erst mal getan, fühle sich das Neue schnell normal an.